Von Eva-Maria Reuther
TRIER "Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, die Erinnerung an dieses Leben zu erhalten und so den Tod zu bekämpfen." Wer dieser Tage durch die aktuelle Ausstellung in der Trierer Galerie Junge Kunst geht, dem kommt unwillkürlich Christian Boltanskis Selbstauskunft in den Sinn, des poetischen Erinnerungskünstlers der Nachkriegsmoderne. Ums Erinnern und Reflektieren geht es derzeit auch im Galerieraum in der Karl-Marx-Straße. Gezeigt werden dort Arbeiten aus Hermann Stamms selbstreferenzieller Serie "Registratur des Nachdenkens". Die konzeptionelle Arbeit des Fotografen besteht aus kleinformatige analogen Schwarz-Weiß-Fotos, die allesamt einem klaren, stereotypen Grundmuster folgen.
Zu sehen ist jeweils im Vordergrund ein Selbstporträt des Künstlers. Dahinter öffnet sich eine Art Denkraum, in dem Plätze, Gebäude, Gestalten oder sogar Symbole des Todes auftauchen. Sie alle stehen für Reisen, Stationen, Begegnungen und Eindrücke in Stamms Leben. Zu sehen ist die Beschriftung eines Seniorenheims in Dresden, der Markusplatz in Venedig, ein Gebäude in New York, eine Satellitenanlage im bayerischen Fuchsstadt, aber auch die Kathedrale von Amiens oder der Konstantin-Kopf in Trier und vieles mehr.
In der Römerstadt unterrichtete Stamm, der auch eine Professur für Visuelle Kommunikation und Fotografie an der Bauhaus-Universität Weimar innehat, von 1979 bis 2002 an der Europäischen Kunstakademie.
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Seit 1975 arbeitet der 1953 geborene Fotograf an seiner "Registratur des Nachdenkens", die inzwischen mehrere Tausend Einzelfotos zählt. Daraus ist ein Buch mit mehreren Hundert Aufnahmen entstanden, von denen ein Teil in der Galerie zu sehen ist. In Hermann Stamms Selbstporträt-Serie registriert und reflektiert der Künstler Wechselfälle und Zeitläufte seines Lebens.
Mit der narzisstischen Selbstermächtigung üblicher Selfies haben die Fotos nichts zu tun. In ihnen wird vielmehr mittels der Kamera fortschreitende und vergangene Lebenszeit bis zum tödlichen Ende konserviert. Selbst der Tod ist darin als Paradox nichts anderes als der Beweis gelebten Lebens. Ins Nachdenken über das Leben kommt unweigerlich auch der Betrachter. Wer ist und wer war Stamm, fragt man sich, wenn man die Reihe abgeht, deren Einzelfotos sich an der Wand entlangziehen. Wie hat er die hier abgebildeten Menschen und Verhältnisse erlebt? Und nicht nur das: Im Wiedererkennen von Orten und Bauten im Deuten der Zeichen begibt sich auch der Betrachter ins Archiv der eigenen Erinnerung.
Stamms Serie ist eine ausgesprochen eindrucksvolle, durchaus philosophische Arbeit über das Leben, die zudem wunderbar zum Jahreswechsel passt mit seiner Aufforderung zu Rückbesinnung und Aufbruch. Sie macht Autor und Betrachter zu Konservatoren des Lebens.
Bis 20. Januar, geöffnet samstags und sonntags, 14 bis 17 Uhr, sowie nach Vereinbarung; Telefon 0651/9763840; weitere Infos: www.junge-kunst-trier.de
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