Die deutsch-deutsche Kopf-Mauer einreißen

Die Ausstellung Reflektor II in der Tufa bietet einen differenzierten Blick auf die Kunst der ehemaligen DDR. Sie ist aus einer Kooperation zwischen dem Trierer Kunstverein Junge Kunst und der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz entstanden.

Gemälde "Oceane" von Fritz Schönfelder. Foto: Eva-Maria Reuther
Gemälde "Oceane" von Fritz Schönfelder. Foto: Eva-Maria Reuther

Von Eva-Maria Reuther

TRIER Noch über 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer scheint die Spaltung Deutschlands nicht überwunden. Der Gegensatz zwischen Ost und West bleibt weiterhin Thema. Erst unlängst sorgte der Leipziger Literaturprofessor Dirk Oschmann mit seinem Bestseller "Der Osten eine westdeutsche Erfindung" für heftige Kontroversen. Die einstige DDR diene Westdeutschland als Projektionsfläche, um mittels negativer Zuschreibungen die Eigendarstellung zu verbessern, klagt der Autor. Die Forderung "Den Osten neu zu erzählen" wurde im März dieses Jahres bei der Leipziger Buchmesse laut.

Dem Abbau von Vorbehalten und dem Diskurs auf Augenhöhe dient auch die Kooperation des Trierer Kunstvereins Junge Kunst mit der Neuen Sächsischen Galerie - Museum für zeitgenössische Kunst in Chemnitz. Als Gemeinschaftsprojekt der beiden Einrichtungen ist jetzt die Ausstellung "Reflektor II" in der Tufa zu sehen. Begonnen hatte die Zusammenarbeit mit dem Haus im einstigen sächsischen Karl-Marx-Stadt anlässlich der Trierer Karl-Marx-Ausstellung 2018. Mit Reflektor II wird die in Chemnitz gezeigte gemeinschaftliche Ausstellung Reflektor I in Trier fortgesetzt.

Präsentiert werden in der Tufa acht Positionen von kunstschaffenden Mitgliedern des gastgebenden Vereins Junge Kunst, dazu acht weitere von Gästen des Vereins. Im Dialog mit ihnen stehen Kunstwerke aus der Sammlung des Chemnitzer Museums. Als Verbindung von Kunst und Natur stehen den bildkünstlerischen Arbeiten Exponate des Chemnitzer Naturkundemuseums gegenüber. Zu sehen ist zudem die Foto-Dokumentation der Ausstellung "Reflektor I" von Lukas Huneke. Kuratiert wurde die Zusammenschau, die an künstlerischen Arbeiten Malerei, Grafik, Fotografie, Bildhauerei und Video versammelt, von Matthias Lindner, dem Direktor der Neuen Sächsischen Galerie. Der Museumschef, der zur Ausstellungseröffnung nach Trier gekommen war, lobte die seltene vorbehaltlose Zusammenarbeit zwischen der Trierer und der Chemnitzer Einrichtung. "Die große Trennung in der Kunst-Entwicklung zweier deutscher Staaten ist noch immer in den Köpfen", klagte der Kunsthistoriker.

Tatsächlich steht die Kunst aus der ehemaligen DDR im Westen bis heute unter hohem Legitimationsdruck. Das rührt nicht zuletzt von ihrer offiziellen Indienstnahme als ideologisches Instrument im kommunistischen System. Was zum Beispiel einst bei der Documenta zu geradezu legendären Auseinandersetzungen führte. Allerdings war das westliche Urteil hinsichtlich der DDR Kunst nicht immer einmütig. So gaben Teile der führenden amerikanische Kunstkritik der östlichen Variante des in beiden deutschen Staaten praktizierten Neo-Expressionismus als "tiefer und ergreifender" den Vorzug.
Auch nach der Wiedervereinigung fiel der Umgang mit der DDR-Kunst nicht unbedingt differenziert aus. Vielerorts wurde sie kurzerhand pauschal als "Müll" abgetan. Kollektives und individuelles Bewusstsein seien auch in der DDR durchaus auseinandergedriftet, stellte Lindner fest, so wie die staatliche Auftrags-und Propagandakunst und jene Kunst, die aus der individuellen Verfasstheit der Künstlerinnen und Künstler entstanden sei.

Die in Trier gezeigten Arbeiten stammen aus der umfänglichen Sammlung des Museums sächsischer Kunst-Produktion seit 1945. Der bekannteste der hier vertretenen Chemnitzer Künstler ist der 1947 geborene Michael Morgner, dessen Radierung "Prometheus" erhellend Klaus Maßems Videoarbeit vom sich ständig wandelnden Menschenbild gegenübersteht.

Geistige wie formale Widerspiegelung drückt sich im Ausstellungstitel "Reflektor" aus. Allerdings beschränkt sich Lindners Dialog-Auswahl weithin auf formale Übereinstimmungen. Was weit mehr stört, ist die völlige Unausgewogenheit der Präsentation. So dominieren die durchaus eindrucksvollen Großformate der Gemälde und die Plastiken der aus Trier beigesteuerten Arbeiten, darunter die Gemälde von Katharina Worring und Sebastian Böhm, das Wandobjekt von Richard Mackness, die Plastiken von Werner Müller und Jáchym Fleig, der hier gleich doppelt als Ost- wie West-Vertreter zur Stelle ist.

Bei solcher Übermacht der Gastgeber werden die klein-und mittelformatigen Arbeiten aus Chemnitz völlig marginalisiert. Dabei ist Sehenswertes dabei, neben Morgner Hans-Hendrik Grimmlings "Feuerspucker", Inge Thiess-Böttners "Tanz der Drachen" oder Fritz Schönfelders "Oceane". Leider verschwindet Kurt Teubners Kreidezeichnung "Zeche bei Aue" hinter Markus Bydoleks Fotografie wie hinter einem Paravent.

Vollends erschlagen werden die Arbeiten von Hunekes wandfüllenden Farbfotos, die man besser separat etwa vorne in der sogenannten Galerie gezeigt hätte. Grundsätzlich ist die Kooperation mit der Chemnitzer Galerie ein verdienstvolles und unbedingt förderungswürdiges Projekt. Allerdings entsteht wirklicher Austausch auf Augenhöhe erst durch die Ausgewogenheit der Mittel. Zudem ist es für das hiesige Publikum erhellender, statt zum Teil bereits bekannter hiesiger Werke, bislang unbekannte der östlichen Partner zu sehen.

Die Ausstellung endet am 10. Juni. Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch und Freitag von 14 bis 17 Uhr, Donnerstag von 17 bis 20 Uhr, Samstag und Sonntag sowie feiertags von 11 bis 17 Uhr.

 
Quelle: Trierischer Volksfreund, Kulturseite vom 25. Mai 2023

Zur Ausstellung REFLEKTOR II, Eine Ausstellung über eine Ausstellung in Chemnitz, 20. 5. bis 10. 6. 2023

 

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Letzte Aktualisierung: 25.05.2023 10:19:04 © 2023 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.