Für Sie berichtet Katharina Leuoth
Da ist ja ganz schön was los in der aktuellen Ausstellung "Reflektor" in der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz! Ein Kunst-Chaos - das auf den dritten Blick aber viel mit jedem von uns zu tun hat. Kunst.
Fangen wir mit dem ersten Blick in diese Ausstellung an: Objekte aus Holz liegen auf dem Boden, es sind Formen, zu denen einem passende Wörter nicht so schnell einfallen. In einer anderen Ecke stehen Türme aus Holz. An den Wänden Bilder und Grafiken, darauf zu sehen Gefäße, Menschen, manchmal nur Linien. Zudem stehen da Sockel, Vitrinen, Kisten, unter anderem gefüllt mit Millionen Jahre alten, versteinerten Hölzern. Ein Meteorit findet sich, präparierte Argusfasane, Knochen. Es ist wie in einem Traum: Ein fernes Wesen hat wahllos Dinge von der Erde aufgeklaubt, in eine Spielkiste gestopft und die jetzt über der Neuen Sächsischen Galerie (NSG) im Chemnitzer Tietz ausgekippt. Das ist - auf den ersten Blick - "Reflektor", die Ausstellung, die Dienstagabend eröffnet wurde.
Kooperation zwischen Ost und West
Um sich dieses Chaos bei einem zweiten Blick zu erschließen, brauchen wir ein paar Informationen. Also: Diese Ausstellung ist eine Kooperation der NSG mit dem Kunstverein Trier. Die Chemnitzer und Trierer kennen sich, denn die NSG aus der Stadt mit dem Marx-Kopf war im Marx-Jubiläums-Jahr 2018 mit Ausstellungen in der Marx-Geburtsstadt Trier zu Gast. Man blieb in Kontakt, also Ost und West. Das ist offenbar auch nötig, denn über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung seien auch Kunst und Kultur noch nicht so zusammengewachsen, wie man sich das vielleicht gewünscht hätte, sagt Mathias Lindner, Direktor der NSG.
Wie also könnten Trier und Chemnitz voneinander lernen? Die Idee: Acht Künstlerinnen und Künstler aus dem Kunstverein Trier sowie acht von ihnen ausgewählte Kollegen, die auch aus anderen Städten der Republik kommen, konnten die Sammlung der NSG durchsehen - und damit ostdeutsche Kunst der DDR, dem Sammlungsschwerpunkt der Galerie. Und weil sich neben der NSG im Tietz das Naturkundemuseum befindet, wurde die Kooperation erweitert, und es konnten auch dort die Bestände gesichtet werden.
Wer ist Claus?
Und so suchten die Trierer und ihre Kollegen Werke oder Exponate in der NSG und im Naturkundemuseum für die aktuelle Ausstellung aus, zu denen sie eine Verbindung herstellen konnten: Indem sie ihnen eigene, bereits existierende Werke gegenüberstellen oder neue Bilder als eine Art Antwort schufen
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oder ein eigenes Werk aus Respektbezeugung dazu platzieren, erklärt Sebastian Böhm vom Trierer Kunstverein. Wie bei Katharina Worring aus Trier.
Sie hatte, so erzählt Böhm, Verbindungen in die DDR, schätzte den Künstler Carlfriedrich Claus aus Annaberg-Buchholz und hat nun einige Grafiken von ihm aus dem NSG-Bestand ausgesucht: Radierungen von 1986, auf denen sich seine filigranen Zeichen und Linien teils in schwarzen Knäulen zusammenziehen. An der Wand nebenan ist nun ein von Worring 2019 bis 2021 mit Öl gemaltes, übermannsgroßes Bild platziert. Auch ihre Arbeit ist abstrakt - eine Landschaft aus Strichen, mit Farbe durchzogen, durchsetzt mit schwarzen Zentren. Und so kommt Claus wieder ins Gespräch. Zur Ausstellungseröffnung fragte ein Gast, mutmaßlich aus Trier, einen anderen: "Wer ist denn der Claus? Lebt der noch?" Nein, er starb 1998. Kurt Teubner wiederum wurde 1903 in Aue geboren und starb dort 1990. Aus dem NSG-Bestand ist seine reliefartige Collage von 1979 ausgestellt: "Ehe der Winter kommt". Holzbretter, Dachpappe, ein paar Blätter. Daneben das Bild "Containerbox" aus diesem Jahr vom in Berlin lebenden Thoralf Knobloch, einem der Künstler, den die Trierer einluden. Obwohl die Box überquillt, strahlt das Bild Perfektion aus, Sterilität fast, und so erzählen die beiden Bilder mit über 40 Jahren Zeitunterschied vom Blick auf Alltagsdinge, aber auch von Veränderungen, dem heutigen Streben nach Schein und dem Verlust der Poesie, die in Teubners Werk noch strahlt. Den präparierten Fasanen aus dem Naturkundemuseum dagegen ist ein Regal zugeordnet mit Objekten, die vor allem mit Knochen gefüllte Teller und Essschalen darstellen - "Ersatzteillager" hat Stefan Philipps vom Trierer Verein seine Arbeit genannt. Andere filigrane Papierarbeiten oder große Farbkompositionen von heute spiegeln die Oberflächen der Millionen Jahre alten Hölzer und Steine.
Ohne Schranken
Die Besucher sind frei zu erkunden, betont Böhm, was hier wie aufeinander Bezug nimmt. Und da kommt der dritte Blick: Wenn man im Kopf Schranken wegräumt, lassen die so unterschiedlichen Arbeiten wilde Assoziationen zu, kann sich die Fantasie beim Betrachten austoben, kann sich die Freude über Farben, Formen und Schaffenslust der Künstler ausbreiten. Das pustet den Kopf frei. Zumal durch die integrierte Naturkunde, so Lindner, der Bogen zum Ursprung gespannt ist. Wir sehen Millionen Jahre alte Formen und Farben der Natur, die darauf hinweisen, wo die Wurzeln unserer Kunst liegen - die auch ein Teil der Menschheitsgeschichte ist und damit ein Teil von jedem von uns.
Die Ausstellung "Reflektor" in der NSG im Tietz in Chemnitz ist bis 26. Februar zu sehen: 11 bis 17 Uhr, dienstags bis 19 Uhr, mittwochs ist geschlossen. " nsg-chemnitz.de
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