Von Eva-Maria Reuther
TRIER. Er werde niemals vollständige Gewissheit über die Natur seiner Wahrnehmungen haben, klagte schon Edgar Allen Poe, einer der Großmeister des Geheimnisvollen. Nüchterner sieht die Wissenschaft das Problem. "Die Wahrnehmung ist eine psychologische Funktion, die dem Organismus mit Hilfe der Sinnesorgane die Aufnahme und Verarbeitungen von Informationen betreffs Zustand und Veränderung der Außenwelt ermöglicht", heißt es im Lexikon der Psychologie.
Auch die Saarbrücker Künstlerin Anne Haring widmet sich in ihrer aktuellen Ausstellung in der Galerie Junge Kunst dem Thema der Wahrnehmung und dem daraus resultierenden Problem der Abbildung.
Dabei ist sich die Absolventin der Düsseldorfer Kunstakademie wie weiland schon die antiken griechischen Philosophen und der eingangs erwähnte amerikanische Autor Poe darüber im Klaren, dass alle Wahrnehmung bruchstückhaft bleibt und über Verstand und Vorstellungskraft zum sinnvollen ganzen Bild zusammengesetzt werden muss.
"Exemplarisch" heißt auch die Schau aus Sperrholzcollagen und einer Wandinstallation, in der die Künstlerin diesen Prozess der differenzierten Wahrnehmung und der neuerlichen Bildfindung am Beispiel ihres Ateliertisches demonstriert. Soll heißen als Abfolge von Dekonstruktion und Konstruktion zerlegt Haring das Objekt ihrer Anschauung, um anschließend die Einzelteile wieder zum neuen Bild zu fügen.
Zum besseren Verständnis hat die 1961 geborene Künstlerin, die bereits vor ein paar Jahren mit sehr schönen Papierplastiken in Trier zu sehen war, einen umfänglichen Begleittext, der von 2018 datiert ist, zum Thema und ihrem Konzept verfasst.
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Harings Arbeiten sind absolut schlüssig und logisch, allerdings auch vollkommen blutleer. Was sich in der Jungen Kunst darstellt, sind Serien ausgesprochen kopflastiger, hochdidaktischer Bilder, geradezu bildnerische Versuchsreihen zum Thema. Sinnenfreudiger und wesentlich dynamischer kommt einzig die vielfarbige Wandinstallation daher. Sie wolle bewusste von unbewusster Wahrnehmung in ihren Arbeiten trennen, schreibt Haring.
Das ist ein konsequenter Ansatz, allerdings auch ein wenig spannender. Zielt Wahrnehmung doch im Letzten auf Erkennen. Wozu die Verschränkung von Bewusstem und Unbewusstem gehört, von Verstand und Sinnen, die "auf eine Linie" gebracht werden müssen, um es mit dem Meisterfotografen Henri Cartier-Bresson zu sagen.
Dabei ergibt sich ganz klar, dass die Art solcher Verschränkungen vom intellektuellen und emotionalen Wissen, von Erfahrung und kultureller Prägung abhängen. Fraglos haben Künstler das Recht, jedes Problem und seine Phänomenologie zu reflektieren. Wie weit die Ergebnisse für den Betrachter ergiebig oder erhellend sind, steht auf einem ganz anderen Blatt.
In Kunstwerken werden reflektierte Inhalte zum ästhetischen Ereignis. In diesem Fall werden sie allerdings zu einem reinen Lehrtext. "Junge Kunst" nennt sich der Trierer Verein. Es wäre sicher nicht falsch, sich mal wieder auf den eigenen Namen zu besinnen.
Die Ausstellung läuft bis zum 28. November, Samstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung, 0651/976 3840, Schaufenster-Galerie täglich. Online: junge-kunst-trier.de
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