VON EVA-MARIA REUTHER
TRIER Wenn dieser Tage von Brasilien die Rede ist, kommt einem unversehens Claude Levi-Straus' unverändert aktuelles Buch "Traurige Tropen" in den Sinn. Darin bricht der Ethnologe zu den Regenwäldern des Amazonas und ins Innere des südamerikanischen Landes auf, um das Urmenschliche zu suchen. Was er dabei findet, ist der vom Menschen verschuldete Verlust der Menschlichkeit. Auch Francisco Klinger Carvalho trauert um sein Heimatland und die tropischen Regionen. "Requiem für die Tropen" heißt die Ausstellung, die der Trierer Kunstverein Junge Kunst dem Brasilianer widmet. Sorgen und Trauer sind fraglos angebracht und immer wieder künstlerisch veräußert worden, in einem Land, das wie seine Nachbarn unter europäischen weltlichen wie kirchlichen Eroberern litt, die Grausamkeit einer Militärdiktatur ebenso erlebte wie die Vernichtung von Natur und Kultur und in dem sich bis heute tiefe soziale Gräben auftun. Jetzt ist das Land wieder ins Gerede gekommen, nicht nur wegen der gefährdeten Regenwälder. "Brasilien - ein neuer
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Faschismus?" fragte unlängst besorgt Luiz Ruffato, Hermann-Hesse-Preisträger und einer der bedeutendsten brasilianischen Gegenwartsliteraten im Rahmen einer Vorlesung über Demokratie an der Berliner Volksbühne. Um die "moralische Dimension der Aneignung von Macht, Land und Kultur in den tropischen Ländern" geht es, wie die Website der Galerie mitteilt, auch in der Mixed Media Schau in der Karl-Marx-Straße. Also eigentlich ein hochaktuelles Thema über Brasilien hinaus. Gleichwohl: Was als Idee gesellschaftskritisch und widerständig wirkt, bleibt in der künstlerischen Uberformung durch den 1966 geborenen Absolventen der Düsseldorfer Kunstakademie bemerkenswert kraftlos und banal. Widerstand und künstlerische Reflexion gerinnen dabei zum bestenfalls ansehnlichen Design. So wie in der titelgebenden Arbeit aus umgestürzten Stühlen, deren Rahmen mit Federn gespickt sind. Ein Werk, das auf Machtergreifung, Zivilisationschaos und die Zerstörung der indigenen Kultur hinweist. Geradezu ärgerlich schlicht im Geiste kommt die Arbeit "Barocco decaido" (Gefallener Barock) daher, das Foto eines
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südamerikanischen Hauses, vor das ein schmiedeeisernes Gitter im Neo-Barock montiert ist. Man mag den Arbeiten des Schülers von Tony Cragg einen gewissen Witz zugute halten, wie etwa seiner "Partida" (Abfahrt), einem Rollstuhl aus Holz und Kandiszucker. Allerdings fehlt der Komik der bittere Nachgeschmack, um als Weltaneignung zu taugen. Dennoch gibt die Ausstellung durchaus Denkanstöße. Allerdings nicht in Richtung Tropen, sondern in Richtung einer Zeit, in der Dekor vor Tiefe geht und Kunst eher unterhält als jenen Augenblick der Ergriffenheit oder Faszination zu schaffen, der Voraussetzung für Welt- wie Selbstbetrachtung ist und die Grundbedingung aller Reflexion. Klinger Carvalhos Trauer fehlt es gleichermaßen entschieden an sarkastischer Schärfe wie an der Fähigkeit, Empathie zu erzeugen. Was in der Jungen Kunst zu sehen ist, ist eher die Verniedlichung der Trauer.
Bis 14.9., Sa, So 14-17 Uhr, und nach telefonischer Vereinbarung Tel: O651 9763840
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