Stefanie Hofer

Scene and Scenery
Aquatinta
 

Gedanken zum Werk Stefanie Hofers

Eine Annäherung

Die schwarzweißen Arbeiten, die uns hier umgeben, strahlen Intensität aus, sie springen gleichsam von den Wänden direkt ins Auge des Betrachters. Mit ihren tiefen Schwärzen und hohen Kontrasten, ihrem Detailreichtum und den häufig rätselhaften Bildmotiven fesseln sie den Blick und regen die Phantasie an.
Stefanie Hofers Bilder sind ein leidenschaftliches Bekenntnis zur Farbe Schwarz. Sie ha­ben mich schon deshalb ganz persönlich angesprochen, weil ich selbst über einen langen Lebensabschnitt hinweg fast nur schwarzweiß gearbeitet habe. Als ich ihren Katalog zum ersten Mal in der Hand hatte, glaubte ich denn auch spontan, es mit Fotoarbeiten zu tun zu haben. Die Kompositionen erschienen mir ebenso typisch für fotografische Arbeiten wie die Tonwerte und vor allem die Mikrostruktur.
Staunend musste ich meinen Irrtum erkennen.
Stefanie Hofer bedient sich einer völlig anderen Technik. Sie arbeitet mit einem alten und sehr aufwendigen Druckverfahren, das höchste Ansprüche an Geduld, Geschick und Imaginationskraft der Künstlerin stellt. Diese Drucktechnik trägt den Namen Aquatinta. Dabei handelt es sich um eine Tiefdrucktechnik aus dem 18. Jahrhundert, die der Radie­rung verwandt ist. Goya gehört zu den Künstlern, die schon früh Meisterschaft darin entwickelt haben. Während bei der Radierung Grautöne nur durch Schraffuren angedeu­tet werden können, lässt sich mit Aquatinta eine Art feiner Rasterung erzeugen, und die entstehenden Drucke zeigen eine besondere Wirkung, die in der Literatur oft als male­risch bezeichnet wird, während mich Körnung, hohe Kantenschärfe und kraftvolle Schwärzung eher an besondere fotografische Techniken erinnert haben. Es hängt eben oftmals vom persönlichen Erfahrungshintergrund ab, wie etwas gedeutet wird.
Das Aquatinta-Verfahren ist wirklich kompliziert. Ich könnte versuchen hier einiges von dem wiederzugeben, was die Künstlerin mir darüber erzählt hat. Aber sie ist ja selbst an­wesend und wird nachher Einblicke in ihre hochkomplexe Arbeit geben.

Nicht nur die Wucht der mächtigen Schwärzen in Hofers Arbeiten springt ins Auge, son­dern auch ihre Bildmotive, die im ersten Moment an "Lost Places" denken lassen - bei diesem derzeit populären Endzeitthema geht es um vom Dschungel überwucherte Städte­ruinen, es können auch Schiffe, Autos oder andere Zivilisationsrelikte sein, die dem all­mäh­lichen Verfall preisgegeben sind. Beim zweiten Blick wird jedoch deutlich, was Hofers Bildmotive von Lost Places unterscheidet.
Zu sehen sind stets künstliche, von Menschenhand gemachte Formen; häufig entstam­men diese einem architektonischen Kontext, wie etwa die Industrieruinen aus neuerer Zeit, es können aber auch autonom anmutende, rätselhafte Objekte sein, die sich als Kunstobjekte erweisen.
Zwar sind all diese künstlichen Formen immer eingebettet in ein Umfeld aus üppiger Vegetation, doch ist hier die Natur keineswegs im Begriff irgendetwas zu überwuchern und an den Menschen verlorenes Areal zurückzuerobern. Denn das Moment der Zerstö­rung fehlt vollkommen. Offensichtlich geht es der Künstlerin nicht um spektakuläre Zivi­lisationskritik oder Kulturpessimismus.

Es sind auch keine wilden Dschungel, in die wir hineinblicken, sondern Natur wird uns in einem gebändigten Zustand präsentiert: Stefanie Hofer sucht und findet ihre Bildmotive meist in Parkanlagen. Es handelt es sich also um Inszenierungen, um mehr oder weniger sorgfältig arrangierte Situationen. Die Relikte, die wir sehen, waren längst schon Relikte, bevor die ersten Bäume und Büsche wuchsen. Kulturelle Relikte und Vegetation scheinen sich gleichsam in friedlicher, geordneter Koexistenz zu befinden.

Mir scheint, dass ihre Bildfindungen einer Entwicklungslinie hin zu immer höherer Ab­strak­tion folgen. Während manch frühe Arbeiten noch klassische Park­landschaften zei­gen, werden Bedeutung oder Funktion der kulturellen Einsprengsel in späteren Bildern zunehmend unklar. Ihr Interesse scheint sich immer mehr auf Form­elemente menschli­cher Zeichensprache zu konzentrieren, und genau die findet sie in den Geraden, rechten Winkeln, Vielecken und Kreisen. So gelangt Hofer schließlich zu einer Gegenüberstellung natürlicher und künstlicher Formen, und ihre Bilder zeigen Szenerien, in denen zwei Spra­chen aufeinandertreffen: die geometrische Zeichensprache mensch­licher Kultur einerseits, und die organische Formensprache der (floralen) Natur anderer­seits.
Etwas weiteres noch fällt auf. Obwohl die Parkanlagen für menschliche Besucher angelegt wurden, bleiben sie in Stefanie Hofers Bildern vollkommen menschenleer. Auch dieser Umstand macht sie nicht gleich zu Lost Places, doch es legt sich immerhin ein Hauch von Melancholie über ihre Bildsituationen.
Es geschieht hier also etwas auf ganz unterschiedlichen Ebenen - nicht nur an den dar­gestellten Orten, sondern zugleich auf den Bildern und nicht zuletzt schließlich in den Köpfen der Betrachter. Wenn wir "Szene", diesen typischen Begriff aus Theater und Film, als "Zusammenhang von Zeit, Ort und Figuren" verstehen, erschließt sich uns endlich auch der Titel dieser Ausstellung: "Scene and Scenery".

Das Arbeiten in purem Schwarzweiß wird, nicht zu Unrecht, oft als Reduktion oder Ab­straktion aufgefasst, und das gilt sicherlich auch hier. Stefanie Hofer kommt ursprüng­lich aus der Bildhauerei, und da sie mit Formen, Strukturen und Gewichten arbeitet, wür­de Farbigkeit keinen Gewinn bringen, sondern ihr bildnerisches Anliegen im Gegenteil wo­möglich nur relativieren.

Doch Schwärze ist zweifellos weit mehr für sie als nur ein Medium der Formgebung.
Wenn von Schwarz die Rede ist, dann akzeptieren wir zumeist ganz großzügig sogar ein dunkles Grau als Schwarz. Denn völlige Schwärze lässt sich in der Praxis kaum reali­sie­ren, selbst schwärzeste Oberflächen sind unter bestimmten Betrachtungswinkeln nicht mehr ganz schwarz, sondern reflektieren ein wenig. Stefanie Hofer aber kämpft gleich­wohl um wahrhaftiges Schwarz, um Schwarz in seiner idealen, absoluten Form, die eine Relativierung nicht kennt.
Mit ihrer Technik, der Aquatinta, ließen sich durchaus auch sehr lichte Bilder erschaffen, aber diese Möglichkeit scheint sie gar nicht erst in Betracht zu ziehen.
Aber was ist Schwarz überhaupt? Wir bezeichnen eine Oberfläche dann als Schwarz, wenn sie keinerlei Licht reflektiert, sondern alles absorbiert. Schwärze liegt aber auch dann vor, wenn keinerlei Licht vorhanden ist, das bis zu unseren Augen vordringen kann; wir sprechen in dem Fall von Finsternis, der Negation also von Licht. Auch ein völliges Nichts müsste zwangsläufig schwarz sein. Da es nichts enthalten würde, also auch kein Licht, wäre es völlig dunkel und demnach schwarz. Selbst wenn wir in das Nichts hinein­schauen und mit einer Taschenlampe hineinleuchten könnten, würden wir nur Schwärze wahrnehmen, da nichts da wäre, um das Licht zu reflektieren und in unsere Augen zu lenken. Ein wahrhaftiges Nichts ist allerdings bloße Fiktion, wie wir heute wissen, oder eine Art philosophische Kategorie. Eher das Gegenteil ist real, wenn auch jenseits unseres menschlichen Erfahrungshorizontes: Singularitäten, die von unendlich dichter Masse er­füllt sind, daher den Raum um sich herum krümmen und schließen und kein Licht mehr herauslassen. In dem Fall sprechen wir von Schwarzen Löchern.

Der Farbe Schwarz haftet also etwas Abgründiges, fast Unheimliches an, etwas jenseits unseren Zugriffs und sogar unserer Vorstellungskraft. Kulturgeschichtlich hat Schwarz eine Vielfalt an Bedeutungen, die natürlich in unterschiedlichen Kulturen und Epochen variieren. Während Schwarz und Weiß im spirituellen Bereich häufig Gegensätze im Sinne von Böse und Gut repräsentieren, entfaltet sich im christlichen Kontext ein Reigen teils widersprüchlicher Bedeutungen. So symbolisiert Schwarz Trauer und Freudlosigkeit, vor allem aber Macht - schwarze Stoffe waren einstmals sehr teuer in der Herstellung. Das Schwarz kirchlicher Würdenträger hat seinen Weg auch zu weltlichen Würdenträgern ge­funden, und so sind selbst Staatskarossen heute überall selbstverständlich schwarz und nicht etwa pink oder lindgrün.
Die Farbe Schwarz wurde aber auch immer wieder gleichsam gekapert: Sei es als Schwarz der Anarchisten oder der Existentialisten, sei es als Ausdruck intensiver (und somit "sünd­hafter") Sexualität oder als besonders edle Modefarbe. Entsprechend eingesetzt, kann die­se besondere Farbe radikal, kompromisslos, ultimativ wirken. Und wer sich ihr so intensiv verschreibt wie Stefanie Hofer, meint es ganz sicher ernst.

Gestatten Sie mir noch von einem Erlebnis zu berichten, das mich bei der Vorbereitung zu diesem Text überkam. Beim Stöbern im Katalogtext stieß ich auf die beiläufige Bemer­kung, dass Schwarz eine Farbe sei. Ich stimmte dieser Aussage sofort zu, wie ich es schon mein Leben lang getan habe. Vermutlich stimmen auch die meisten Anwesenden zu, dass Schwarz, und ebenso Weiß, eine Farben ist. Doch im gleichen Moment schoss mir ins Be­wusstsein, dass ich doch bisher stets auch an das Gegenteil geglaubt habe, ohne dass mir diese Widersprüchlichkeit jemals aufgefallen wäre.
Vielleicht nicht mein Leben lang, aber seit ich um 1980 mit fotografischer Arbeit angefan­gen habe, waren schwarzweiß und farbig für mich ganz selbstverständlich Gegensätze, sie repräsentierten zwei Welten, die wenig miteinander zu tun hatten. Die technischen Ver­fah­ren waren ganz unterschiedlich und ebenso die gesellschaftliche Funktion. Nach wie vor schließen Farbe und Schwarzweiß einander aus, und das nicht nur in der Fotografie.

Ob Schwarz eine Farbe ist, ist freilich keine lebenswichtige Frage. Schockiert hat mich allerdings die Einsicht, dass sich überall in unserem Kopf vermeintliche Wahrheiten ver­bergen können, die wir nur deshalb nie hinterfragen, weil wir an ihre Gültigkeit gewöhnt sind. Und es war Stefanie Hofers wunderbarer Katalog, der mir dies vor Augen führte.

Nun aber noch geschwind zu der Frage, die Anlass war zu meinem Erlebnis. In der Kunst behilft man sich mit der Unterscheidung in bunte und unbunte Farben, was aber nichts erklärt, sondern nur eine weitere Bezeichnung einführt.
Meiner Ansicht nach ist fundamental, dass wir Farben nur durch das Medium Licht wahr­nehmen können. Bestimmten Wellenlängen ordnen wir im Kopf bestimmte Farben zu, und es kann nur Farben geben, die sich durch Lichtstrahlen übertragen lassen, sei es auch durch Mischung.
So bedeutet etwa Rot, dass rote Lichtstrahlen reflektiert und andere absorbiert werden, und entsprechend ist es mit den anderen Farben. Farbe ist demnach ein Resultat aus Re­flektion und Absorbtion von Spektralfarben, die in der Natur auftreten. Akzeptieren wir das, dann handelt es sich bei Schwarz und Weiß um Extremfälle: Schwarz absorbiert alles und reflektiert nichts, bei Weiß ist es umgekehrt. Demnach werden schwarzweiß und far­big zu Unrecht als Gegensatzpaar gehandelt. Offensichtlich haben wir Schwarz also zu Recht als Farbe in unseren Malkästen.
Der Gegensatz von farbig ist dann in Wirklichkeit farblos bzw. transparent: Kein Licht wird absorbiert, kein Licht wird reflektiert.
Dennoch lässt sich auch gegenteilig argumentieren, z.B. dass es kein schwarzes Licht gibt und auch kein weißes - denn weißes Licht ist ja nur eine Mischung aller Lichtfarben und somit eine Täuschung unserer Sinne. Wir sehen, dass jede dieser Perspektiven ihre eigene Wahrheit hat, und es gibt zu dieser Frage sogar noch mehr Perspektiven.

Sie, und vor allem die Künstlerin selbst, werden mir die kleine Abschweifung verzeihen. Die Arbeiten Stefanie Hofers haben eben eine anregende Wirkung auf mich.
Anregend auf den menschlichen Geist zu wirken, gehört zu den Qualitäten guter Kunst. Sie entfaltet diese Wirkung, indem sie unsere Sinne anregt und uns in erhöhte Aufnahme­be­reit­schaft versetzt.
Stefanie Hofer gelingt diese Leistung mit ihrer Arbeit. Ihren großartigen Werken wohnt eine Kraft inne, der ich mich nicht entziehen kann, und ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen ähnlich geht.


Markus Bydolek, im Mai 2025
 
Zur Ausstellung Stefanie Hofer, Scene and Scenery, 10. 5. bis 15. 6. 2025
 
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Letzte Aktualisierung: 10.05.2025 14:22:28 © 2025 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.