Patricia Kranz
Transformation der Tüten
 
 
Einführung von Oliver Scharfbier

Zur Vernissage am 27. Oktober 2017 in der Galerie Junge Kunst
 
Patricia Kranz, Transformation der Tüten

Patricia Kranz macht bemerkenswerte Sachen, kontinuierlich und leise. Es scheint ihrer Art zu entsprechen, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. So sagen wir doch, wenn jemand zur eigenen Arbeit ein Understatement bemüht. Sie transformiere "Tüten", sagt Sie. Was für eine Untertreibung. Ihrer Bescheidenheit steht das künstlerische Werk gegenüber. Dieses spricht ebenfalls nicht laut sondern wohl akzentuiert. Es regiert eine gewisse Strenge, die wiederum der Absurdität entgegensteht. Denn Patricias Arbeiten sind beides -absurd und sehr diszipliniert.

Als ich 2016 einer freundlichen Einladung in ihr Atelier folgte war ich skeptisch. Transformation der Tüten, was sollte ich mir darunter vorstellen? Die Überraschung war dann umso größer.

Verschiedene Werkblöcke, so wie auch heute hier zu sehen, weckten sogleich meine Neugier. Da waren ihre großen Stelen, teils verborgen unter vor Staub schützender Folie, farbig strahlende Objekte standen auf dem Boden und gleich daneben hing gespinnstige Düsternis, Netzartige Strukturen hingen an den Wänden. Ich sah zum ersten Mal die HERBARIEN hinter Glas -so benannt nach getrockneten und gepressten Pflanzen. In diesem Fall sind es aber ins Verharren gesperrte Grafiken aus Kunststoffen. Gedrehte und gefönte, gekräuselte oder geknautschte Tütenreste, die ganz wunderbare Dimensionen aufstoßen, weit weg vom Ursprungsmaterial, hin zur losen Zeichenhaftigkeit einer Grafik. Fast flüchtig scheinen sie skizziert zu sein, diese Formen. Virtuos, definitiv.

Mit knapp 21 Jahren beginnt Patricia Kranz ihr Studium an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und dort in der Klasse für Bildhauerei experimentiert sie bereits mit Kupferfolien, erprobt die plastischen Möglichkeiten mit denen sie einem flachen Material durch radikale Eingriffe an die Existenz gehen kann. Doch Radikalität wird auch überbewertet. Meine Meinung. Konsequenz ist stärker. Und der stete Umgang mit ihrem Material, das Sie seit vielen Jahren kennt, lässt Patricia Kranz beneidenswert konsequent bleiben. Sie schweift nicht ab. Ich versuchte gleich zu Beginn meiner Betrachtung die Farbigkeit der TASSEL die sie in dieser Ausstellung sehen (dort im Eingangsbereich, die quastenflossige Bodenskulptur), also diese Farbigkeit auf die variablen Gehänge an der Wand zu übertragen, wagte mir vorzustellen wie diese in knalligen Orangetönen oder ähnlich aggressiv wirken würden. Ich erwähnte das auch, was ziemlich ungeschickt war. Es wurde nicht nur zurück gewiesen, der gesamte Gedanke erwies sich auch als falsch.

Ich übersah, dass die verschiedenen Werkblöcke nicht unbedingt inhaltlich zusammen gehören, nur weil sie aus dem gleichen Material geboren werden. Im Kunstverein Trier offenbart sich Ihnen nun eine auf der ganzen Wandbreite mäandernde Variable. Sie tanzt und wuchert, vernetzt sich und verastet. Eine Naturbeobachtung, etwas, das darauf schließen lässt, dass hier eine organische Wahrnehmung eine große Rolle spielt, und zwar in eine vegetative Richtung suchend, entgegengesetzt der materiellen Physis.

Materialität, so lehrt es uns Tony Cragg, ist im Heute die verbliebene Herausforderung in der Bildhauerei*). Die ursprünglichen Motivationen jedoch, die zu einem künstlerischen Experiment führen, sind oftmals schwerer zu definieren. Um Licht ins Dunkle zu bringen stellen wir Fragen. Doch wenn wir nicht wissen wonach wir fragen sollen, sind auch Mutmaßungen und Anekdoten legitime Werkzeuge. Die Werkgruppe der VARIABLEN führt uns womöglich weiter zurück, in Kindheitserinnerungen der Künstlerin. In einem längeren Gespräch kommen wir auf ihren Geburtsort im Rheinland-Pfälzischen zu sprechen. In Bennhausen ist sie aufgewachsen, zusammen mit Eltern und Großeltern, die dort einen Obstgroßhandel betrieben. Auf dem Grundstück der Familie stand eine große Scheune. Und es war Sitte, dort drinnen all das was anfiel, irgendwelches Zeugs, wie Sie es nennt, einfach an einen Nagel zu hängen. Nun herrschte in jener Scheune ein tunneliges Licht und an allen Balken steckten Nägel und die Dinge die dort hingen, abgezogene Hasen, deren Felle, Schweinehälften, "Gedärm und Blasen, irgend so ein Zeugs halt", beeindruckten das Kind nachhaltig. Eine gruselige Szenerie, wenn ich es atmosphärisch verstehen will. Diese führt mich dann weg von abgehängten Kleidern und deren Modifikationen, hinfort von zerfetzten Korsetten und Unterröcken, die mein Auge in den VARIABLEN hat erkennen wollen; zurück also in die Scheune und den diffusen Nebel, um zu erkennen, das es dort nicht mehr hängt, dieses ganze Zeugs. Jetzt ist es etwas anderes.

Wir nennen es Kunst und Metamorphose, was etwas anderes bedeutet als Kunstfertigkeit. Und so offenbart sich uns eventuell ein starker Eindruck, in der Vergangenheit zurück gelassen, der unablässig fort rollt durch die Zeit auf feinen seismographischen Wellen bis hin zum Moment der Transformation. Wie gesagt: eine Möglichkeit der Interpretation.

Aber das kann Kunst. Ein Material allein kann das nicht.

In unserem Fall: Plastik bleibt immer Plastik! Die Welt, unser Planet kann es nicht mehr verändern, nur klein raspeln bis hin zum Nano-Teil. Der Kunststoffmüll, der in den Weltmeeren treibt, wird hinabsinken zum Grund unserer Meere und eines Tages wiedergeboren als kunterbunter Quastenflossler -ach, wenn es doch so lustig wäre. Aber auch hiervon erzählen die Arbeiten von Patricia Kranz. Nicht so prominent, sie tun das in Nebensätzen, erwähnen diese Motivation der Künstlerin am Rande der Erzählung. Vielleicht kann es auch deswegen keine Titel geben, um den Nebensatz nicht zu verbauen.

Patricia Kranz möchte keine zusätzlichen Assoziationen wecken, sondern den Betrachter sich und seinen Gedanken zur Arbeit selbst überlassen. Wie zum Trost für ungeduldige Geister überschreibt Sie zumindest ihre Werkblöcke und Serien. Die TASSEL, die VARIABLEN und die HERBARIEN bestimmen den heutigen Abend. Eine weitere Gruppe umfasst Netzwerke, hiervon sehen Sie in der Ausstellung zwei Arbeiten, die FRAME genannten. Eines ruft uns aus dem hinteren Teil der Galerie zu, ein anderes wirkt bereits auf der Einladungskarte. In der kleinen grell-günen Arbeit möchte ich einen Antipoden sehen, etwas, das die Strenge und Disziplin der Künstlerin ad absurdum führen darf, gerade hier, vis-à-vis zur großen VARIABLEN.

Die Plastiken von Patricia Kranz sind empfindliche Gebilde. Der Kunststoff härtet durch ihre Behandlungen aus, wird glatt oder spröde, irgendwie schöner und geheimnisvoll, stets so, wie sie es will. Vielleicht ist es empfehlenswert, bei einer (nicht empfohlenen) vorsichtigen Berührung der Arbeiten den Gedanken an das profane Material nicht zu denken.

Plastiktüten berühren wir doch jeden Tag.

*) "Ich glaube, dass die Bildhauerei eine extrem wichtige Disziplin ist", so der gebürtige Brite, der seit 40 Jahren in Wuppertal lebt. Die Bildhauerei habe in den vergangenen 100 Jahren eine wahnsinnige Entwicklung genommen und sei in Europa von einer Abbildung von Menschenfiguren zu einem Studium der ganzen Materialwelt geworden. "Es ist eine radikale politische Haltung, Kunst oder Bildhauerei zu machen."
Deutschlandfunk Kultur Beitrag vom 02.12.2016

 
zurück zur Ausstellung Patricia Kranz, Transformation der Tüten, 28. Oktober bis 25. November 2017
 
Diese Seite teilen:    Facebook     Twitter     Google+     E-Mail

Letzte Aktualisierung: 03.11.2017 16:02:31 © 2017 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.