Jáchym Fleig | Ulrike Mundt
Limbus
 
 
Einführung in die Ausstellung am 12. August 2011

von Rainer Hoffmann
 
Limbus – Jáchym Fleig und Ulrike Mundt


Zunächst einmal eine Begriffsklärung: Was bedeutet „Limbus“? Den Katholiken ist schnell klar: Es handelt sich hier um einen Bereich am Rand der Hölle, die sogenannte Vorhölle, auch Fegefeuer genannt. Das ist der Ort beispielsweise für die Seelen ungetaufter Kinder, so etwas wie ein Warteraum, eine Zwischenstation zwischen dem Diesseits und dem Jenseits.
Der lateinische Begriff „Limbus“ meint „Rand“, „Saum“, Umgrenzung“, „Zwischenraum“ – gebraucht wird er nicht nur in der Theologie, sondern auch der Medizin. Ein Beispiel sei hier genannt: Die Übergangszone zwischen Horn- und Lederhaut des Augapfels nennt man Limbus.

„Limbus“ benennt also in mehreren Wissenschaftszweigen Übergangszonen; er macht sie „dingfest“, (be)greifbar, konkretisiert sie – dennoch bleiben sie aber letztendlich doch abstrakt.

Im übertragenen Sinn kann man „Limbus“ als Puffer verstehen, als eine Zone zwischen zwei Kraftfeldern, die aufeinander einwirken. Dieses System lässt sich auf diesen Raum übertragen: Die Kräfte sind auf der einen Seite die Kunstwerke von Jáchym Fleig und Ulrike Mundt, die an bzw. in der Architektur angebracht sind, und auf der anderen Seite wir, die Betrachter. Beide Kraftfelder interagieren, entladen sich in der Zwischenzone, und diese Zwischenzone ist einerseits die Wirkung der Arbeiten auf uns und andererseits unsere Wirkung als Interpreten auf die Arbeiten.

Beide Künstler, Jáchym Fleig und Ulrike Mundt, sind Bildhauer, d.h. sie erschaffen Skulpturen. Mit voneinander verschiedenen Strategien besetzen, verändern und schöpfen ihre Werke den Raum, in dem sie sich befinden. Das bedeutet, dass sich Raum in verschiedener Gestalt zeigt und die Raumwirkung durch die künstlerischen Eingriffe stark verändert wird.

Betrachten wir nun die Arbeit von Jáchym Fleig. Seinen Arbeiten, die oft aus Gips, Karton und Hartfaserplatten bestehen, ist gemein, dass sie Sozialsysteme, aber auch biologische und botanische Phänomene thematisieren. Sie treten in Wechselbeziehung mit dem Außen- und Innenraum und strukturieren dabei diese Räume sowie ihr Verhältnis zueinander neu. Fleigs Objekte haben oft mobiles Potential, können also bewegt werden oder scheinen sich selbst, eigenständig, fortzubewegen: Im Künstlerhaus Schloß Balmoral erstreckte sich im Jahr 2009 der „Mitläufer“ wie ein Läufer oder Vorleger (Teppich) über Decke, Wand inklusive eines Fensters. Und im Lehmbruck Museum war ein Metallwagen auf Rollen zu sehen, in dem sich ein Organismus eingepflanzt hat, der dadurch seinen Standort beliebig verändern kann: „Verbund“ heißt die Arbeit.

Seine Skulptur, besser, sein skulpturaler Eingriff in die Raumarchitektur im Kunstverein Trier, wurde in zwei Schritten realisiert: Zunächst erweiterte und strukturierte er die vorgefundene Architektur des Raumes durch Kartons, danach brachte er mit einer Tülle gespritzten Gips an alle Wände, Objekte und den Boden auf. Der Gips breitet sich flächig auf der Architektur aufsitzend aus. Die Tatsache, dass der obere Wandbereich frei geblieben ist, dafür aber der Boden von der Wand ab bedeckt ist, erweckt den Eindruck der Bewegung. „Flechte“ ist der Titel der Arbeit, und so wie Flechten die Eigenschaft haben, jegliche Objekte – seien es nun Bäume, Steine oder Hausmauern – zu überziehen, kriechen auch die von Fleig geschaffenen organisch wirkenden Strukturen über die Wand, Fenster, Türen bis zum Boden. Wie ein pflanzlicher Organismus scheint sich die Arbeit in die Raummitte zu bewegen, bereit sich weiter auszubreiten oder auch nur zu verlagern.

Der Organismus, den Fleig hier eingepflanzt hat, legt sich wie eine Schicht auf die Raumarchitektur; eine Schicht, die sich zwischen die Architektur, die 3. Haut, und uns stellt. „Die 3. Haut: Häuser Teil 1 und Teil 2“ lautete der Titel von zwei im Jahr 2007 erschienenen Bänden der Reihe „Kunstforum“, die die psychologische Dimension des Themas „Haus“ in der zeitgenössischen Kunst beleuchteten. Die Erkenntnis lautet: Häuser sind die dritte Haut; demnach ist die erste Haut diejenige, die den Menschen umschließt, die zweite Haut ist seine Kleidung und die 3. Haut die Architektur, die den angekleideten Menschen umschließt. Zwischen der 2. und 3. Haut dockt sich hier nun die Arbeit von Fleig an und ist uns psychologisch und körperlich sehr nahe: Man könnte sagen, das Werkt rückt einem auf die Pelle. In die Faszination der pittoresken Formen, die mal an fein gearbeitete Spitze, mal an Tapetenmuster erinnern, mischt sich eine gewisse Beklommenheit, ein Unbehagen, man fühlt sich okkupiert, von dem Raum erobernden Gebilde umzingelt.

Das Gefühl von Befremdung, von Unsicherheit erzeugen auch die Arbeiten von Ulrike Mundt, doch geht sie andere Wege. Die Arbeiten der Künstlerin sind statische Objekte, die stehend oder hängend positioniert sind, teils aber auch beweglich sind. Sie beinhalten Anklänge an Designmobiliar, aber auch Versatzstücke von industriellen Gerätschaften. Manche Objekte produzieren Klänge, Töne oder Geräusche; teils wecken die Apparaturen in uns auch nur die Erwartung, dass sie zu klingen beginnen, ohne diese zu erfüllen. Oft lassen sich ironische oder gar sarkastische Anspielungen finden, etwa wenn ein Gerät das Aussehen einer Schrotflinte hat oder mittels einer Apparatur Fahnen gehoben oder gesenkt werden können. Man könnte sagen: Mundt reißt keine Witze, sie baut sie.

Im hinteren Teil des Ausstellungsraumes finden wir zwei schwarz gekachelte Becken, die auf einer Metallkonstruktion angebracht sind. Das eine hat die Form eines „L“, das andere ist annähernd quadratisch. Aufgrund der Rollen und der anscheinen komplementären Formen haben wir die Vorstellung, dass die beiden Objekte passgenau zusammengeschoben werden und einen perfekten geschlossenen Quader ergeben – in unserem Alltag haben wir doch so oft mit Perfektion, Passgenauigkeit zu tun. Diese Erwartung wird enttäuscht, denn wenn man die Objekte zusammenfügte, bliebe ein Überstand von ein paar Zentimetern. Doch damit nicht genug der Irritation: Die schwarzen Fliesen lassen an die heimische Nasszelle im Design der 80er-Jahre denken, die Form jedoch und insbesondere die Höhe der Becken assoziiert man mit Wannen in einer Pathologie.
Dass es sich um für Wasser bestimmte Behälter handelt, scheint der Wasserablauf in beiden Becken zu bestätigen. Und in der Tat vermögen die Wannen auch tatsächlich Wasser zu fassen – doch wo ist der Ablauf? Auch hier laufen unsere Erwartungen ins Leere – es gibt keine herkömmliche private oder gewerbliche Nutzungsmöglichkeiten. Der Titel „Duell“ meint neben dem Hinweis auf die zweiteilige Arbeit besonders auch die Auseinandersetzung des Betrachters mit dem Werk selbst: Einen Kampf um die Deutung des Leerraums, den die Arbeit ganz gezielt aufwirft.

An der Wand befindet sich die dreiteilige Arbeit „Triptychon“: drei hochglänzende Objekte, die von Form und Anbringung her an Versatzstücke aus Möbeldesign, Technik und Industrie erinnern. Der Titel „Triptychon“ ruft wieder Assoziationen hervor, nämlich an dreiflügelige Altarbilder, die etwa eine Heiligengeschichte erzählen. Sie sind so aufgebaut, dass auf die mittlere Tafel das wichtigste Ereignis der Geschichte zu sehen ist, während die Seitenteile eine untergeordnete Rolle spielen. Betrachtet man nun Mundts Arbeit, so folgt der Aufbau des Dreierschritt ästhetischen Prinzipien (das mittlere Objekt bildet die Synthese der seitlichen Objekte), jedoch gibt es keinen nachzuvollziehenden narrativen Strang: Die Erwartungen des Besuchers laufen ins Leere. Und das ist Mundts Strategie: Ihre Arbeiten – wie auch die von Fleig – verweigern sich Geschichten und zielgerichteten Interpretationen und Deutungsmustern.

Nun darf ich Sie einladen, mit den Werken in näheren Kontakt zu treten, treten Sie ein in den Limbus und schauen Sie, was er für Sie bereit hält!


Rainer Hoffmann M.A.
www.kunstgeschichtler.de
 
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Letzte Aktualisierung: 13.08.2011 13:33:26 © 2015 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.