Bernhard Matthias Lutz | Johannes Oberdorf | Karola Perrot | Daniel Schieben | Klaus-Dieter Theis | Philippe Vincent

STADT-FINDEN
Fotoarbeiten
 
Einführungsrede von Dr. Sonja Mißfeldt zur Eröffnung am 02.12.2011

"Ich suche nicht, ich finde!" lautet ein berühmtes Zitat von Pablo Picasso. "Suchen – das ist das Ausgehen von alten Beständen und ein Finden-Wollen von bereits Bekanntem im Neuen. Finden – das ist das völlig Neue!" Und genau wie der Großmeister der Kunst des 20. Jahrhunderts haben sich auch Bernhard Matthias Lutz, Johannes Oberdorf, Karola Perrot, Daniel Schieben, KD Theis und Philippe Vincent nicht auf die Suche nach Motiven im Trierer Stadtbild begeben, sondern welche gefunden. Die Ergebnisse zeigt diese Ausstellung. Verschiedene Künstler, mehrere Generationen – doch so unterschiedlich sie auch arbeiten, ihre Fotografien haben alle etwas gemeinsam: sie alle zeigen einen neuen Blick auf an sich Altbekanntes. Keine typischen Trier-Motive, keine statischen Komplettansichten der Porta Nigra, des Doms oder der Kaiserthermen, sondern Aufnahmen, die uns nähertreten lassen und genau hinzugucken auffordern.

Durch die Scheiben locken bereits Aufnahmen von Johannes Oberdorf in die Galerieräume hinein. Ebenso wie die immer wieder aufkeimende Initiative einer "Stadt am Fluss" möchte auch er "Werbung für die Mosel" machen. Denn der Fluss ist in Trier nicht wirklich präsent, nicht leicht zu finden. Wie erreicht man ihn? Was sieht man, wenn man sich ihm von Weitem nähert? Was, wenn man direkt an seinem Ufer steht? Oberdorf machte sich mit seiner Kamera auf den Weg. Die auf Holz geklebten Collagen geben wieder, was er vorfand. Seine Aufnahmen zeigen den Fluss aus unterschiedlichen Perspektiven: mal sind einzelne Steine, Muscheln oder Scherben aus der Nähe dokumentiert, mal ist es der weitschweifige Panoramablick, der auch Brücken und uferferne Gebäude erfasst. Der Materialfundus zum Thema "Mosel" beinhaltet zufällige Fundstücke und gestellte Szenen, Farbaufnahmen und Schwarz-Weiß-Fotos , Tag- und Nachtstücke sowie Vollbilder und Ausschnitte. Auch den Künstler selbst kann man darin entdecken, er hat seine Spuren hinterlassen – als Abdrücke im Sand – man muss sie nur finden.

Daniel Schieben zog vor kurzem mit seiner Familie in einen Bungalow in einer klassische Wohnsiedlung. Die neue Umgebung inspirierte ihn zu seinen aktuellen Fotoarbeiten. Das enge Nebeneinander der Häuser vermittelt eine Aufnahme, die wie ein Satellitenbild anmutet. Dicht an dicht grenzt hier Grundstück an Grundstück. Der Wohnraum scheint optimal genutzt – gerecht, pragmatisch und funktional wurde das Gelände aufgeteilt. Das eigene Haus jedoch ist schwierig zu finden. "Das Finden-Wollen von bereits Bekanntem im Neuen." Doch die Menge der Bebauung täuscht, sie wurde von Schieben künstlich erzeugt. Denn glücklicherweise existiert zwischen den Häusern real auch erstaunlich viel Grün. Die Fülle der Häuser und Bäume steigert Schieben in seinen Aufnahmen mittels der Technik der Mehrfachbelichtung. Seine Motive blendet er mehrmals übereinander, Schicht um Schicht wird so die Bildfläche gefüllt. Die mal stärkere, mal schwächere Grauschattierung erzeugt dabei den Eindruck von Tiefenräumlichkeit. Aus einem Baum wird ein Wald, aus ein paar Häusern eine Siedlung.

Bernhard Matthias Lutz dagegen hat nicht im Stadtbild nach einem Motiv gesucht, er fand es zu Hause in heimischen Schubladen. Altes Steinmetzwerkzeug seines Vaters bannt er im Bild: groß, klar und ohne ablenkendes Beiwerk. Die archaisch anmutenden Arbeitsgeräte weisen Spuren der Zeit auf: Der gespaltene Holzgriff des Hammers wurde liebevoll geklebt und an seinem unteren Ende mit einem Fahrradgriff ausgebessert, die einst draußen liegen gelassene Blechschere ist im Regen komplett verrostet. Bei dem dritten Werkzeug handelt es sich um einen sogenannten Scharrierhammer, mit dem man Profile in Stein meißeln kann. Vielen unbekannt, wirkt dieses Arbeitsgerät allein schon wegen seiner befremdlichen Form wie ein archäologisches Fundstück. Und genau wie einen Grabungsfund fotografiert Lutz auch die Werkzeuge seines Vaters: sachlich, nüchtern und schlicht in der Bildmitte platziert. Keine moderne Inszenierung, kein pfiffiges "aus der Mitte gerückt sein", keine hippe Überarbeitung, kein überflüssiger Schnickschnack. Damit erinnern die Aufnahmen an Arbeitsfotos, wie man sie in Archiven und Inventaren findet. "Das Suchen – das ist das Ausgehen von alten Beständen."

Philippe Vincent widmet sich wieder dem Erscheinungsbild der Stadt Trier. Seine Fotoreihe verläuft von links nach rechts, von acht Aufnahmen bis hin zu einer. Es sind Polaroids, Unikate, die einen nostalgischen Charme versprühen. Vincents Fotoreihe beginnt mit acht Aufnahmen der Porta Nigra. Das vermutlich meist fotografierte Bauwerk Triers zeigt er jedoch nicht in Natura, sondern als Abbilder eines Abbilds. Sie ermöglichen, was die Arbeit vorm Original so nicht gestattet: ungewöhnliche Perspektiven, Auf- und Untersichten, Verschiebungen, Ausschnitte und Verzerrungen. Es folgen sechs Aufnahmen des in Olewig lebenden Bildhauers Franz Schönberger in seinem Atelier, einem Freund Vincents, der Vincent zufolge so zwingend zu Trier gehöre wie die Porta und daher in dieser Serie nicht fehlen durfte. Der Zeitgenosse wird mit vier Fotos historischer Bauelemente konfrontiert, Zufallsfunde und Zeugen der Vergangenheit. Der Kontrast zu den zwei Bildern des modernen Luxemburg mit seinem Philharmoniegebäude und den beeindruckend luxuriösen Neubauten könnte nicht größer sein. Aber auch das gehört zu Trier, findet Vincent, die Grenznähe und enge Verbundenheit zum Großherzogtum. Den Abschluss markiert ein sich küssendes Paar – le Baiser – vor der Porta Nigra. Der Kreis schließt sich, Architektur und Mensch, vorher in unterschiedlichen Rahmen nebeneinander, haben jetzt im Bild zueinander gefunden.

KD Theis untersucht menschenleere Räume. Hier ausgestellt sind Aufnahmen einer Haustür und eines Fliesenbodens. Es ist der Eingangsbereich des Hauses von Benno Lutz, dessen Fotos von alten Werkzeugen seines Vaters ebenfalls in der Galerie Junge Kunst zu sehen sind. Das eigentliche Wohnhaus ist nur zu erahnen, Tür und Fußboden stehen als pars pro toto für das Ganze. Denn Theis interessiert nicht die Dokumentation von Gebäuden, auch der Mensch spielt in seinen Aufnahmen keine Rolle. Was ihn begeistert ist das Licht, das durch die schmalen Türfenster ins Innere fällt und den Rest der Aufnahme kontrastreich in fast undurchdringliches Schwarz hüllt. Schwach sind Türgriff und Klingel, ein Schlüssel und die Türrahmung zu erahnen. In der anderen Aufnahme ist es der sich auf dem Boden spiegelnde Fensterschein, der seine Aufmerksamkeit weckte. Aus dem dunklen Hintergrund schält sich hier bedächtig das geometrische Muster der Fliesen allmählich heraus. Das Licht, der Sonneneinfall, Spiegelungen und Reflexe – das sind Theis' eigentliche Themen. Solche Momente kann man nicht suchen, man braucht einen Blick für sie, dass man sie findet.

Auch Karola Perrot verfügt über einen ausgezeichneten Blick und ein feines Gespür für das Besondere. "Vollzug" sind eindrucksvoll strenge Aufnahmen martialisch wirkender Architektur. Aus dem Großen sucht sie das Kleine, findet das Markante, das exemplarisch für das Ganze steht. Daneben zeigt sie Aufnahmen des gewöhnlichen Straßenpflasters, das durch Schattenwürfe zu beinahe abstrakten Kompositionen wird. Die Absperrung einer Baustelle hinterlässt feine Streifen auf dem Asphalt, ein gewöhnlicher Gullideckel wirkt unter den regelmäßigen Schattenstreifen wie ein filigranes Kunsthandwerk. Auch die allen bekannte Beschriftung der Busspur erscheint in neuer Perspektive, durchzogen vom zarten Krakelee im Asphalt. Perrots Motive liegen buchstäblich auf der Straße. Offen, jeder könnte sie entdecken, man muss sich aber auf die Suche begeben, um sie zu finden. Bei Karola Perrot wird deutlich, was alle hier beteiligten Künstler eint: Das Bekannte erscheint zunächst fremd, durch genaues Hinsehen wird es wiedererkannt. "Das Finden – das ist das völlig Neue!"
 
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Letzte Aktualisierung: 17.05.2012 10:58:34 © 2015 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.