Petra Deta Weidemann

Freisitz
Raumdefinierende Aussichten und andere Sichten aus Beton, Holz und Gewebe
 
Einführung in die Ausstellung durch Christina Biundo am 19. Februar 2010

 
Guten Abend sehr verehrte Gäste. Liebe Freunde.

Ich freue mich Ihnen und Euch heute Abend Petra Deta Weidemann und ihre aktuellen Arbeiten der Ausstellung mit dem Titel „Freisitz: Raumdefinierende Aussichten und andere Sichten aus Beton, Holz und Gewebe“ vorstellen zu dürfen.

Deta Weidemann hat in Aachen Kunst studiert, lebt zurzeit in Aachen und arbeitet dort als freie Künstlerin. Ich habe sie in ihrem Atelier in Aachen besucht und habe sie als sehr lebensfrohen Menschen kennengelernt. Es passt zu ihr, wenn sie sagt, dass es Spaß macht, künstlerisch zu arbeiten und dass es vor allem Spaß macht, Wände und Räume zu bespielen und neu zu definieren. Als Bildende Künstlerin kommt sie eigentlich von der Malerei, hat aber bereits kurz nach ihrem Kunststudium das Material „Beton“ kennengelernt. Sie sagt selbst, dass es ein sehr glücklicher Zufall war, dass der Beton in ihr Leben trat, denn dieses Material hat ihr künstlerisches Schaffen verändert und langfristig geprägt. Beton ist sozusagen der Hauptprotagonist der raumdefinierenden Arbeiten, die hier ausgestellt werden, wobei auch die Nebenprotagonisten Holz, meist MDF Platten oder Lamellen, Gewebe und Schnur ihr Gewicht in den Aussichten und anderen Sichten der Ausstellung entwickeln.

Die Ausstellung zeigt installierte Arbeiten, die zum größten Teil das erste Mal ausgestellt werden. Jede Arbeit an sich braucht viel Raum um sich herum, denn bei der Betrachtung wird es klar, sie brauchen Platz um ihre entgrenzte, ja fast haltlose Geschichte zu Ende erzählen zu können.
Das ist aber schon ein wenig vorweggenommen und deshalb fangen wir doch erst einmal mit der Bildbetrachtung an: Wie bereits gesagt, kommt Deta Weidemann von der Malerei und sie nennt ihre Arbeiten schlichterweise „Bilder“. Diese „Bilder“ sind rahmenlos. Ihre Begrenzung ist die Wand selbst, mit der sie in Kontakt treten und die sie als Teil ihrer selbst vereinnahmen. Im unbegrenzten Bild gibt es ein Bildzentrum, von dem der Bildaufbau und unsere Betrachtung ausgehen. Thema der Bilder ist immer Urbanität und Architektur. Menschen kommen nur sehr selten vor. Wenn doch vereinzelt Menschen auftauchen, verharren sie in Posenhaftigkeit und Stereotypen. Die vorherrschenden Farben der Bilder sind das Grau des Betons, ein monochromes himmelblau, das Weiß der Wände und das Schwarz der Schnüre. Die verarbeiteten Materialien sind wie gesagt Beton, Gewebe und Holz. Außer den Fragmenten aus Beton, die reliefartig aus der Bildoberfläche hervortreten, bleiben die Arbeiten zweidimensional.
Bei der Betrachtung allerdings entwickeln die Arbeiten eine ungeahnte räumliche Dimension, einen neuen Raum, der sich je nach Bild in verschiedene Richtungen öffnet. Diese Tiefe wird zwar auf der Zentralperspektive aufgebaut, doch folgen die Linien und Richtungen, die die Arbeiten ordnen ihren ganz eigenen Gesetzten. Vielmehr den Gesetzten von Petra Deta Weidemann.

In der Vorstellung von Stadt und urbaner Architektur herrschen ausgelöst durch die Architekturentwicklung im 20. Jahrhundert ganz klar geometrische Ordnungsprinzipien vor. In der Vorstellung gibt es, der Wirklichkeit entsprechend, eine perspektivische Tiefe, die dem System der Zentralperspektive folgt. Es gibt einen zentralen Fluchtpunkt der vom Betrachter ausgehend den Raum und die räumliche Perspektive definiert: vorne groß und hoch und scharf – hinten: klein und niedrig und unscharf.
Diese Vorstellung bestimmt die Betrachtung der Bilder und mit genau dieser Vorstellung arbeitet Deta Weidemann. Es liegt nicht an einer etwaigen Unfähigkeit der Künstlerin, dass wir uns beim Betrachten dieser Arbeiten nicht so wirklich zu Recht finden. Folgen wir einer Linie, dann erkennen wir dass sie zu der Perspektive der anderen Linie vielleicht gar nicht so wirklich passt. Sehen wir uns einen Freisitz an, dann fragen wir uns, von wo aus wir den jetzt eigentlich betrachten. Wo stehen wir? Wo ist innen und wo ist außen. Wo ist das Gebäude? Wo ist die Begrenzung des Gebäudes? Was ist der eigentliche Raum und was ist der Zwischenraum.
Fragen stellen sich nach Raum und Räumlichkeit. Die Räumlichkeit in den Bildern folgt nicht einer einheitlichen Perspektive. Da stimmen die Linien perspektivisch nicht. Dadurch entsteht eine eigentümliche Haltlosigkeit. Irgendwie bekommen die Szenen etwas „Unrichtiges“. Sie bekommen etwas Entrücktes. Zeitlos und haltlos. Als Betrachtende fangen wir unweigerlich an, unsere eigene Position umzudenken und zu verändern. Es bleibt uns eigentlich gar nichts anderes übrig, als das zu tun, denn die Bilder definieren den Raum der sie umgibt - und damit auch den Raum um den Betrachter herum - neu. Sie erzeugen eine Art Unsicherheit des eigenen Stands, der eigenen Position, der man sich natürlich entziehen möchte, um nicht ins Wanken zu kommen. Deshalb überdenkt man die eigene Position und die Position des Bildes gegenüber.

Dabei erscheinen die Bilder auf den ersten Blick richtig, perfekt in der äußeren Ausformulierung mit Flächen aus zerbrechlichem makellosen Himmelblau und Flächen, mit scharfen, Richtung gebenden Linien und kontrastierendem monumental wirkendem Beton. Eine gekonnte Gegenüberstellung der Elemente die sich im Bild harmonisch vereinigen. Doch begeben wir uns inhaltlich forschend hinein in diese Bilder, machen sich eine gewisse Verlorenheit in Zeit und Raum und eine bedrückende Haltlosigkeit in dem grenzenlosen Raum melancholisch breit. Kaum etwas entspricht dem, was man erwartet. Ständig wird die eigene Position in Frage gestellt. Da wo man eigentlich Tiefe erhofft, hört die Linie auf und der Raum schließt sich. Dort wo man Halt in der geschlossenen Fläche sucht, öffnet sich unerwartet ein weiterer Raum. Menschen tauchen schemenhaft, in stereotypen Posen an unwirtlich flachen Positionen auf. Zwar versüßen sie die Situation auf eine lockende Art und Weise, aber dennoch macht sich Verunsicherung breit.
Deta Weidemann spielt leicht und verschmitzt mit überlieferten Annahmen, Vorstellungen und Konstruktionen und mit erlernter Wahrnehmung. Ihre Arbeit ist fast minimal zu nennen, sie braucht nicht mehr, um zu erzählen was sie erzählen möchte, aber die Verunsicherung, die eintritt, ist vehement. Sie gibt etwas vor, ganz kurz nur und nimmt es sofort wieder zurück. Sie gaukelt uns eine schöne, klare, geordnete, saubere und überschaubare Welt vor und zerstört diese Annahme durch die perspektivischen Ungenauigkeiten sofort wieder. These und Antithese vereinigen sich in einer Arbeit. Auf die erlernte Annahme folgt die Verunsicherung. Und sie macht das nicht todernst mit dem erhobenen Zeigefinger sondern mit Freuden und einem Augenzwinkern. Und dennoch, trotz all der Leichtigkeit: Kein Leben ist möglich in den Bildern der Ausstellung Freisitz. Sie erweisen sich letztlich schmerzhaft als Kulisse, als flache Anlage einer möglicherweise belebbaren Urbanität. Ein Zurechtfinden ist fast unmöglich.

Petra Deta Weidemann stellt die Bildrealität in Frage und definiert den Raum außerhalb des Bildes um. Es bleibt bei der Betrachtung gar nichts anderes übrig, als den Bildinhalt in den Raum darum weiterzudenken. Sonst würde man in der Haltlosigkeit der Geschichte auch noch stecken bleiben. Wie in einer endlosen Warteschleife. Die Flucht in die eigene Bildfertigstellung außerhalb der eigentlichen Arbeit ist die einzige Chance zu entkommen.
Wenn man noch einmal formal auf die Arbeiten schaut, erscheinen sie auf den ersten Blick fast wie inszenierte Fotografien. In ihnen findet sich ein hohes Maß an Präzision, Schärfe, Ordnung und Schönheit, das wir von Architekturfotografie kennen. Punkt zu Linie, Linie zu Fläche, Farbkontraste zueinander. Ein perfekt ausgewogenes Miteinander der Elemente. Mit klaren Farben und makellosen Oberflächen, sehen wir mal von der Oberfläche des Betons ab. Fast angenehm haptisch ordnet diese Oberfläche die perfekte glatte Umgebung. Und führt uns mit der Ordnung in die Irre.

Ich glaube, Petra Deta Weidemann ist wirklich angetan von dem Material Beton. Er ist als gestalterisches Mittel unglaublich vielfältig. Schwer und monumental auf der einen Seite, strukturiert und haptisch auf der anderen Seite. Mit enorm viel implizitem gesellschaftlichem Vorwissen, das in der künstlerischen Arbeit benutzt und gleichzeitig widerlegt werden kann. Einfach so, ohne große Schnörkel, nur über die Beschaffenheit des Werkstoffs Beton an sich. Sie lässt den Beton fast organisch in ihren Bildern wachsen. So absurd das vielleicht klingt, denn wir verbinden in unserer realen urbanen Umwelt Beton eigentlich nicht mit organischem Wachsen, sondern eher mit Leblosigkeit, Kälte und Unbehagen. Architektur, die von Beton geprägt ist verleiht urbaner Umwelt eine oft unangenehme Geometrie, Anonymität und Glätte. Seit der Lehre des Bauhauses und dem Triumphzug der internationalen Architektur, die von geometrischen, funktionalen Formen geprägt ist, kennen wir diese Diskussion.
In der realen Architektur ist Beton das Element, das glättet und durch die Geometrie ordnet. Himmel und Wiesen dagegen sind das organische Element und weisen Ungenauigkeiten auf. Außer man retuschiert eine Fotografie. Und macht sie dadurch perfekter als die Wirklichkeit. Sterilität und Leblosigkeit werden damit in der Architekturfotografie zum Idealfall, der zur Kulisse verkommt. Bei den Architekturfotografien des Bauhaus, bereits angefangen bei Walter Gropius, wurde diese Perfektionierung geradezu Mittel zum Zweck.

Petra Deta Weidemann setzt diesem Verfahren noch die Krone auf: Im Vergleich zu der Fotografie bildet sie sozusagen bereits die Retusche der Wirklichkeit ab, die schöne, glatte, geordnete Welt, mit einer fast warm und lebendig gewordenen Betonarchitektur, die letztlich nur ein Manko aufweist: man kann sich als Mensch über den Verlust an übereinstimmender Räumlichkeit und das Fehlen von Tiefe in der kulissenhaft flachen Welt leider nicht zurecht finden. Raum und Zeit bleiben ungreifbar und unwirklich. Die einzige Möglichkeit der melancholischen und ausweglosen Kunstsituation zu entfliehen bleibt der Weg zurück ins wirkliche Leben.
 
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Letzte Aktualisierung: 11.03.2010 15:51:39 © 2015 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.