Aloys Rump
Aus großer Höhe
 
 
Künstlerische Interferenz oder Die sequenzielle Visualisierung der Welt

Katalogbeitrag von Christina Biundo
 
Prolog
Eine Epoche mit der Tendenz zur Verdichtung ins Visuelle.
Weltvisualisierung. Videokameras allerorten, jede Sekunde ein neues Bild: Politische Krisen, Katastrophen, Terror, Globalisierung, Überwachung, Unsicherheit, Gefahr - omnipräsente Fotobildlichkeit in kurzen Bildsequenzen. Die Welt im rhythmisierten Visier. Sequenziell. Aufgezeichnet und gespeichert. Aus der Notwendigkeit der Dokumentation. Satellitenaufnahmen von Kriegen, Kriegsgeschehnissen, im Fernsehen, im Internet, überall. Beim Einkauf, in der U-Bahn, an der Hotelrezeption, im Schulsekretariat. Globale Überwachungstechnik. Videoüberwachungsbildschirmtürme. Videoüberwachungsbilder. Rhythmisiert. Ein unaufhörlicher, digitaler Bildersturm, der für Gefahren sensibilisiert, die außerhalb von uns liegen. Außerhalb von uns. Die uns bedrohen. Von Außen. Die eindringen nach Innen. Ins Bewusstsein der Welt. Sie bedarf der Überwachung. Die Welt. Sie ist eine Gefahr. Wir sind in Gefahr. Wir sind die Gefahr. Die Menschheit. Ursache und Wirkung gleichermaßen. Bedingen und erleiden. Die Welt wendet sich rückwärts. Als Bild. Als Bild der Gefahr. Setzt sich als visuelle Sequenz fest. Hinter der Netzhaut. Im Kopf. Im Herzen. Die Welt in Ausschnitten. Schnell. Gefärbt von Rotlicht, Gelblicht-, Blaulichtfiltern. Der generösen Farbigkeit beraubt. Verödet. Vergraut. Farblos. Stumm. Die Welt hat keinen Laut. Keine Sprache. Die Welt hat Gesichter. Sequenzen im Sekundenrhythmus.


Aloys Rump, Maler in der Tradition des deutschen Informel, lebt und arbeitet in Boppard am Rhein. Seine Gemälde sind Reflektionen globaler, gesellschaftlicher und politischer Prozesse und Entwicklungen. Eine künstlerische Antwort. Er geht um, mit der Welt. Sie geht um, mit ihm. Und findet Ausdruck in seinen Bildern .

Besonders der Werkzyklus Aus großer Höhe, 2007/2010 baut auf die sequenzielle Seherfahrung der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit auf. Er reagiert auf ein kollektives Wissen. Das Wissen um die fotografische Erfassung der Welt und ihrer Bevölkerung aus großer Höhe. Im Gegensatz allerdings zur sequenziellen Fotografie, zur fotografischen Aufnahme, sind die Gemälde, die ausnahmslos durch die Fixierung und Schichtung von Marmor- und Schiefermehl entstanden sind, keine Abbilder der Wirklichkeit, sondern Bilder, die durch eine emotionale und intellektuelle Reflektion gegangen sind. Mit Pinsel und Spachtel arbeitet Rump aus der zähen Masse Wülste, Grate und Verwerfungen heraus und in sie hinein Schnitte und Narben. Wunden gleich. Schmerzlich einem neutralen Trägermaterial abgerungen. Die Grenzen verwischen zwischen Gemälde und Plastik. So entstehen körperliche Bilder. Sie zeichnen sich durch eine ausgeprägte Reliefstruktur aus, die wie die Oberfläche eines unwirtlichen Bereichs der Erdoberfläche anmutet, der aus großer Höhe betrachtet wird. Besonders aus größerer Entfernung evozieren die Arbeiten die Assoziation mit der Schwarz-Weiß-Fotografie. Fast nicht zu unterscheiden. Irritierend. Eine Art
künstlerische Interferenz. Dabei bedient sich Rump nur selten, und wenn, dann zeichenhaft der Gegenständlichkeit. Er bleibt weitestgehend in der Abstraktion und entwickelt aus ihr Formen und Strukturen, die auf globalen Sehgewohnheiten und kollektiven Erinnerungspotentialen basieren.

Die Gemälde des Werkzyklus Aus großer Höhe sind stille Arbeiten. Gehalten in Grautönen. Sie sind nach Rolf Tiedemann mehr oder weniger monochrom .… und können noch so unruhig sein, die vom Malen mit nur einer Farbe hervorgerufene Wirkung ist in der Regel eine Stille und Ruhe. Die „nicht ganz rein monochrome“ (Tiedemann) Ruhe und Stille aus fixiertem Gesteinsmehl belegt Rump in einem letzten Arbeitsschritt oberflächlich mit einer Spur Marmorstaub gemischt mit Farbpigmenten. Er bestäubt die Gemälde und verstärkt dadurch den Eindruck der Monochromie. Die Gemälde erblassen. Vergrauen förmlich in blau, rot, grün oder gelb anmutendem Staub. Und nehmen inhaltlich eine erstaunliche Wendung. Die reliefartige Struktur wirkt - so bestäubt - paradoxerweise extrem zweidimensional und das globale Wissen um die sequenzielle Visualisierung der Welt evoziert die Verbindung zur digitalen Aufnahme von oben - Aus großer Höhe eben.
Getragen wird diese künstlerische Interferenz zudem durch das partielle Auftauchen von Zeichen in einigen wenigen der Gemälde: Fadenkreuze und Schatten von Kampfflugzeugen. Eine fatale Wirkung. Gab es bis zu diesem Aspekt keine greifbare Verortung in den Arbeiten, bestimmen nun erinnerte Bilder an fotografische Aufnahmen das Betrachten. Kriegsschauplätze. Luftangriffe. Die Reproduktion von gesehenen, digitalen Sequenzen übernimmt die Orientierung in der Bildwirklichkeit und rhythmisiert die Betrachtung nach der visuellen Vorgabe. Die Szenerie wird verortet. Aus der Erinnerung.
Zudem erobert sich die Komponente Zeit eine zentrale Bedeutung. Ruhe und Unvergänglichkeit als vorherrschende Zustandsattribute, werden zugunsten von schattenhaft aufkommender Unruhe und Vergänglichkeit in den Hintergrund gedrängt. Schnelligkeit. Flüchtigkeit. Endlichkeit. Der Schatten eines Kampfflugzeugs, der gerade noch, gleich der Vision im Augenwinkel, gesehen wird, bevor er das Bild wieder verlässt. Die endlos scheinende Gegenwart der Momentaufnahme geomorphologischer Gegebenheiten verändert sich schlagartig in einen Zustand schnellstmöglicher Veränderbarkeit anthropomorpher Eingriffe. Künstlerische Interferenz. Der Sinninhalt kommt aus einem anderen Kontext. Die Bildwirklichkeit selbst wird zum Augenblick. Zur Erinnerung. Zur Sequenz. Der die nächste Sequenz folgt. Im Schatten der Zeit. In der Erwartung der wiederkehrenden Ruhe und Stille. Doch auch die – Stille und Ruhe – der folgenden Sequenz schenken keinen versöhnenden Frieden. Kein freundliches Zeichen. Keine Befreiung aus der interferenten Erinnerungsschleife. Sie hinterlassen eher Stummheit. Sprachlosigkeit bis ins Mark. Gespeist vom kollektiven Wissen um potentielle Gefahren und um die sequenzielle Visualisierung der Welt.

Auszug aus dem Katalog zur Ausstellung "Aus großer Höhe" in der Galerie Junge Kunst.
 
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Letzte Aktualisierung: 03.12.2010 23:06:02 © 2015 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.