"Den
Trommelschlag verstehen"
Helmut Kiesewetter in der
Galerie Junge Kunst
Helmut Kiesewetter: Ohne Titel, 1992. Übermalung einer
Schwarzweißphotographie.
Tipp-Ex, Eiweißlasurfarbe, Toluessenz und Tusche auf Photopapier. (27,8 x 27,8 cm)
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Der Wuppertaler Künstler
Helmut Kiesewetter hat vor sieben Jahren neue Materialien
für seine Malerei entdeckt: TippEx, Salben, verschiedene Jodtinkturen und besonders
duftende und farbige Essenzen wie Eichenmoos und Tolu. Diese Materialien erlauben dem
Künstler malerische Effekte, die es bislang in der bildenden Kunst nicht oft gab. Farb-
und Oberflächengestaltung der kraftvollen abstrakten Linien- und Flächenlandschaften
werden um ungewohnte Momente bereichert. Überraschend und spannend ist die Verstärkung
des malerischen Effektes durch den Geruch der Essenzen. Das bräunliche Eichenmoosextrakt
etwa hat einen ungeheurer vielsagenden Wald- und Bodengeruch, so daß der Betrachter nicht
nur durch die Farben zu Assoziationen angeregt wird, sondern zusätzlich durch den Geruch
der Farben. Bedauerlicherweise müssen die Bilder während der Ausstellung aus
Sicherheitsgründen hinter Glas hängen; bei der Vernissage jedoch wurden die Bilder
herumgereicht, so daß zugleich eine kommunikationsfördernde Interaktion zwischen den
Gästen entstand.
Sind durch die Bilder und Gerüche schon optischer und olfaktorischer Sinn des Menschen
angesprochen, so hat Kiesewetter auch für den haptischen Sinn noch eine Installation
erstellt: Der Boden der Galerie ist etwa 20 Zentimeter hoch - bunt und einladend - mit
Papierschlangen aus dem Reißwolf bedeckt. Eine spannungsreiche Installation im
Zusammenspiel mit den Bildern, aber auch für sich. Obwohl der optische Eindruck an eine
helle Sommerwiese denken läßt, fühlen die Füße eher einen dunklen Waldboden. Ein
Natureindruck, der aber durch das Material aus den Büros unserer Kulturwelt hervorgerufen
wird; Abfall, der hier zum Boden für etwas Neues wird.
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Der Titel der Ausstellung heißt:
"Den Trommelschlag verstehen" und ist ein Satz aus dem Zen-Buddhisrnus, ein
geistiger Heimatort des Künstlers. Im Zen werden dem Denken Aufgaben gestellt, die es im
Sinne unserer westlichen logisch-kognitiven Konzeption nicht 'lösen' kann. Das Denken
umkreist eine Gedankenfigur oder Bild und kann nie zu einem Ziel kommen. Dieses Umkreisen
eines Geheimnisses selbst ist, worum es geht. Auch deswegen ist die Kunst Kiesewetters
das, was wir abstrakt nennen. Sie ist nicht festgelegt und zeigt keine Dinge oder
Gegenstände, seine Kunst bildet nichts ab, sondern sie ist geheimnisvoll und offen. Die
Offenheit der Bilder nimmt die unbewußten und bewußten Assoziationen des Betrachters
auf, gibt ihnen gleichsam Raum. Zwischen und hinter den Strichen, Klecksen, Tropfen und
Flächen verstecken sich lauter Erinnerungen, Ahnungen, Ängste und Bilder des
Betrachters. Tritt er gar näher, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, tritt noch der
Duft hinzu und weckt noch viel tiefere Bilder und Assoziationen.
Die Kunst Kiesewetters holt uns rationale Alltagsmenschen dort ab, wo wir stehen, und so
erkennen wir zunächst alles wieder: das Tipp-Ex, den Bleistiftstrich, den Kugelschreiber
und die Schnipsel aus dem Reißwolf. Vom Erkennen aber fährt uns der Künstler zu etwas
anderem. Da sind die chaotischen und doch sprechenden Strukturen, die duftenden Farben und
die schroffen Linien; und wir fangen an, mit diesen zu spielen, und es eröffnet sich Raum
für das, was noch nicht ist.
Oliver Weckbrodt
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