Magdalena Abele

Von schwindelnden Felsenschlüften
Fotografien
 
 
Zur Frage nach der Wahrheit....

Gedanken zur Kunst Magdalena Abeles
 
Magdalena Abele. Angels Landing (73x110 cm, 2014)
Magdalena Abele. Angels Landing (73x110 cm, 2014)
 
Ich freue mich sehr, heute abend Magdalena Abele in unserer Galerie begrüßen zu dürfen, und das ist nicht als höfliche Floskel gemeint.
Wir zeigen hier Künstlerinnen und Künstler, deren künstlerische Entwicklung wir authentisch und folgerichtig finden. Wir freuen uns über Künstler, die ihr eigenes Schaffen kritisch reflektieren, die die Grenzen des Mediums, mit dem sie arbeiten, ausloten - unentwegt im Ringen um adäquate Ausdrucksformen für ihr künstlerisches Anliegen.
Wie ich glaube, trifft dies auf Magdalena Abele in hohem Maße zu!

Als ich ihre Bewerbung zum ersten Mal in Händen hielt, war ich sogleich gefangen von der Schönheit ihrer Landschaften. Ihre Farbigkeit ist zurückgenommen, verhalten, fast sachlich; vorsichtig lässt sie ihre Motive für sich sprechen und sich entfalten. Und diese Motive haben es in sich! Meist handelt es sich um besonders schöne und deshalb auch touristisch begehrte Orte - "Sehnsuchtsorte", wie sie selbst sagt.
"Mirador" heißt passenderweise ihr wirklich gelungener Katalog. Das ist spanisch und bedeutet Aussichtspunkt.
Auf den zweiten Blick fällt auf, dass mit den Bildern etwas nicht stimmt. Mitunter sind grotesk viele Menschen inmitten dieser Landschaften zu sehen, und diese Menschen verhalten sich wahrlich sonderbar!

Erst bei näherer Betrachtung wird deutlich, woher die Irritationen rühren. Dieselben Personen tauchen oft mehrfach auf, nur an unterschiedlichen Positionen. Die Künstlerin verarbeitet fotografische Aufnahmen, die sie im Laufe mehrerer Minuten gemacht hat, zu einem einzigen Bild, und dies gelingt ihr mit einer spielerisch anmutenden Leichtigkeit. Die Landschaft hat sich über diesen Zeitraum nicht verändert, doch all die Positionsveränderungen der Menschen werden von der Künstlerin registriert und aufgezeichnet. Sie könnte aus der Abfolge solcher Szenen einen Film machen, zumindest eine Art Daumenkino. Doch stattdessen integriert sie alles in ein einziges Tableau, sie komprimiert die vergangene Zeitspanne scheinbar zu einem einzigen Moment.

Nur auf diese Weise kann sie die Gleichförmigkeit im Verhalten der verschiedenen Menschen sichtbar machen.
Geradezu verstörend werden ihre Bilder, wenn die Menschen darauf, laut Selbsteinschätzung bekanntlich die "Krone der Schöpfung", jede Individualität ablegen, stattdessen Ameisenstraßen bilden und sich wie ferngesteuert über die Bildfläche bewegen.
Einige von Ihnen werden sich erinnern, dass auch ich mit Zeit- und Raumkompression arbeite, wenn auch auf eine völlig andere Weise und mit ganz anderen Zielsetzungen. Trotz vielfältiger Unterschiede empfinde ich eine künstlerische Verwandtschaft, was mir selten passiert, und so war ich sofort sehr gerührt und habe mich gefreut diese Ausstellung zu kuratieren und auch die Einführung zu übernehmen.

Indem sie mit der Zeit spielt, spielt Magdalene Abele auch mit der Wirklichkeit.
Schafft sie Abbilder oder erschafft sie Bilder? Diese Frage ist gleichbedeutend mit der nach dem Verhältnis von Fotografie zur Wirklichkeit und zur Wahrheit, und es handelt sich um eine der grundlegenden Fragen in der Fotografie. Seit Jahrzehnten erlebe ich, dass diese Frage in immer neuem Gewande auftaucht und unter Fotografen, Kunsthistorikern und Philosophen diskutiert wird. So gibt oder gab es die Position, durch Aufnahmefilter würde die Wirklichkeit verfälscht; oder den Glauben, man müsste Negative "straight", also ohne jegliche Korrektur, in Positive umsetzen, um Bilder zu schaffen, die frei sind von Manipulation. Heute dreht es sich natürlich meist darum, wie digitale Bearbeitungen zu bewerten sind. All diese Vorstellungen möchte ich nur erwähnen. Darauf einzugehen, würde an dieser Stelle zu weit führen.

Um das Leiden der Fotografie an der Wahrheitsfrage zu verstehen, wollen wir einen kurzen Blick zurückwerfen in die Zeit, bevor es Fotografie gab. Der Zeitraum, den ich meine, umfasst nahezu die gesamte Menschheitsgeschichte! Wer früher eine visuelle Information festhalten oder vermitteln wollte, musste dies zeichnerisch erledigen. Das Zeichnen war eine Kulturtechnik wie das Lesen und Schreiben. Wer lesen und schreiben konnte, konnte oft auch zeichnen, aber das waren nicht sehr viele. Übrigens war auch die Fähigkeit zur präzisen Beschreibung entwickelt - eine Fähigkeit, die heute fast ausge-storben ist. Alle jemals angefertigten Zeichnungen verbindet nun eine be-merkenswerte Eigenschaft: Sie haben einen subjektiven Charakter. Wann immer jemand eine Zeichnung anfertigt, sie fällt stets individuell und jedes Mal anders aus. Jeder Mensch hat unterschiedliche Prägungen und einen eigenen Stil, betont bestimmte Aspekte und vernachlässigt dafür andere. Jeder Mensch bringt unterschiedliche gestalterische Fähigkeiten mit usw. Das war früher so und ist heute nicht anders.
Da Abbildung früher also zwangsläufig und ausnahmslos subjektiv gefärbt waren, war eine Konzeption von Abbildungen OHNE subjektiven Einfluss nicht einmal vorstellbar, sie konnte schlicht nicht gedacht werden.
Erst mit der Fotografie wurden die technologischen Voraussetzungen geschaffen für die Idee einer objektiven Abbildung von Realität. Und da eine solche Idee bis dahin nicht möglich war, wurde ihre Abwesenheit auch nicht als Mangel empfunden.

Heutzutage fotografieren die meisten Menschen en passant mit ihren Telefonen, oder Pulsfrequenzmessern, bald bestimmt auch mit ihren Brillen. Der ganze Vorgang ist kinderleicht und bringt doch verblüffend gute Resultate zuwege. In ihrer Frühzeit jedoch war die Fotografie ein schwerfälliges und kostspieliges Geschäft, und eine gute Zeichnung ließ sich nicht selten schneller anfertigen.

Zur damaligen Zeit hätte niemand die enormen technologischen Entwicklungen im Bereich der Fotografie vorhersehen können. Dennoch konnte sich die Fotografie nach und nach etablieren und durchsetzen. Dies gelang, weil offenbar sofort spürbar war, dass die Fotografie etwas ganz Neues, bis dato Unbekanntes leistet: Sie hat unsere Wahrnehmung und unsere Erkenntnisfähigkeit um die Idee der Objektivität bereichert.

Eine Kamera kennt kein "schön" und kein "häßlich", kein "gut" und "böse", sie hegt keine Leidenschaft oder Abneigung für irgendetwas, sie bildet einfach nur alles ab, was sich in ihrem Bildfeld befindet, sobald jemand auf den Auslöser drückt. Die Kamera wird zwischen den Betrachter und den Gegenstand seiner Betrachtung geschoben und kann so die Abbildung von subjektiven Einflüsterungen befreien. Die Fotografie bekam sogar den Rang eines Beweismittels.
Spätestens seit Original und Fälschung nicht mehr unterschieden werden können, ist es zwar vorbei mit der Eignung der Fotografie als Beweismittel. Aber ist sie nicht wenigstens im Prinzip imstande, uns die Wirklichkeit so zu zeigen, wie sie ist? Magdalena Abele formuliert dies übrigens knapp aber präzise als Frage nach dem "Wirklichkeitsversprechen der Fotografie".

Stellen wir uns vor, vor einem Turm zu stehen. Er ist zylindrisch, also mit senkrechter Außenwand, schlank und hoch. Um den Turm ganz auf's Bild bekommen, werden Sie die Kamera schräg nach oben halten. Sie sind arglos und haben bestimmt keine Absicht, das Bild zu verfremden oder zu verfälschen. Dennoch werden sie hinterher feststellen, dass Ihr Foto kein schlankes zylindrisches Gebilde zeigt, sondern etwas annähernd Kegelförmiges. Die Basis ist breit, oben läuft das Ganze aber fast in einem Punkt zusammen. Aus Erfahrung wissen Sie natürlich, dass der Grund dafür in der perspektivischen Verzerrung zu suchen ist. Sie sind imstande die Abbildung so zu interpretieren, dass Sie darin einen hohen Turm erkennen. Ob der Turm aber tatsächlich eine senkrechte Wand hat, können sie auf dem Foto nicht erkennen. Vielleicht verjüngt er sich ja nach oben hin doch ein wenig?
Noch schwieriger wird es, wenn Sie das Foto einem Menschen zeigen, der einer Kultur entstammt, die aus irgendeinem Grunde überhaupt keine hochaufragenden Gebilde kennt. Ein solcher Mensch wäre mit dem Konzept perspektivischer Verzerrung unvertraut, und er würde lediglich einen Kegel oder sogar nur ein Dreieck erkennen. Die Wirklichkeit des Turms ist durch dieses Foto also nur sehr eingeschränkt erfahrbar. Und verständlich wird die Abbildung überhaupt erst durch einen erklärenden Kontext.

Versuchen wir es nun besser zu machen. In der Architekturfotografie wird angestrebt, dass senkrechte Wände auch als solche erkennbar sind. Dafür gibt es verschiedene Hilfsmittel, z.B. können Sie mit Photoshop die schrägen Außenwände des Turms ganz einfach "auseinanderklappen", bis sie schön parallel und senkrecht sind. Erst nach diesem manipulativen Eingriff erkennen wir nun einen wichtigen Wirklichkeitsaspekt des Turmes, nämlich dass er senkrechte Wände hat. Aber er erscheint uns nach unserem Eingriff niedrig und dick, was ganz sicher nicht der Wirklichkeit entspricht.
In einem weiteren Schritt könnten wir den Turm in der Länge strecken, würden dann aber festzustellen, dass nun zwar die äußeren Proportionen des Turmes stimmen, nicht aber die der Details. Und so weiter!
Nur aus sehr großer Entfernung könnten wir den Turm in den richtigen Maßverhältnissen abbilden, müssten dann aber wiederum auf genauere Details verzichten.

Wie wir es drehen und wenden: Eine fotografische Abbildung, die den Turm in seiner ganzen Wirklichkeit zeigt, ist nicht möglich. Das ist aber keine Schwäche der Fotografie, sondern liegt daran, dass die Wirklichkeit selbst eben vielfältig und gleichsam zerstreut ist. Konzentrieren wir uns auf einen bestimmten Aspekt, dann verschwinden andere dafür im Hintergrund. Wir brauchen immer mehrere Perspektiven, um uns der Wirklichkeit anzunähern. Schon die Kubisten haben das übrigens erkannt und in ihren Bildern thematisiert.
Und wir lernen noch etwas: Die Wirklichkeit an sich kann nicht abgebildet werden. Jede Abbildung verwandelt sich im Moment ihres Entstehens in etwas Neues, in ein Bild, also etwas "Gebildetes, neu Geschaffenes" - und jedes Bild, das es gibt, ist der Wirklichkeit ebenso nah oder fern, wie alle anderen Bilder auch.
Diese Einsicht kann uns einen unverkrampften Zugang zur Fotografie schenken. Und Magdalena Abele hat einen solchen Zugang gefunden.

Eingangs habe ich ihre Bilder als zurückgenommen, fast sachlich charakterisiert, zumindest hinsichtlich ihrer Farbigkeit. Und in einem hoffentlich nicht allzu anstrengendem Exkurs haben wir auch noch Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorie gestreift. So mag ein etwas sprödes und damit irreführendes Bild von der Künstlerpersönlichkeit Magdalena Abeles entstanden sein.

Abschließend möchte ich daher auf den poetischen Titel ihrer Ausstellung zurückkommen. "Von schwindelnden Felsenschlüften", dieser Vers stammt aus dem Gedicht "Sehnsucht" des romantischen Dichters Joseph von Eichendorff. Im Zusammenhang heißt es dort:

Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.

Angesichts dieser Verse wird wohl deutlich, dass der Ausgangspunkt von Abeles Arbeit nicht im fotografischen Experiment liegt und ebensowenig in der soziologischen Untersuchung touristischer Phänomene.
Magdalena Abele liebt vielmehr ihre Natur, und gerade deshalb geht ihr nahe, wie Menschen beim Versuch der Annäherung an Natur scheitern. Ausblenden kann sie dieses tragische Scheitern nicht, und als Künstlerin bleibt ihr kein Ausweg, als es zu thematisieren.

Nicht zuletzt möchte ich ein weiteres Mal kurz auf den wirklich empfehlenswerten Katalog verweisen. Außer den gut gedruckten Bildern sind auch zwei sehr lesenswerte Texte darin enthalten.

Markus Bydolek
 
zurück zur Ausstellung Magdalena Abele, Von schwindelnden Felsenschlüften, Fotografien, 26. Januar bis 23. Februar 2019
 
Diese Seite teilen:   
Facebook     Twitter     WhatsApp     E-Mail

Letzte Aktualisierung: 08.02.2019 19:42:46 © 2019 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.