Kristina Girke

Geometrie des Unmöglichen
Malerei
 
 
Einführungsrede

 
Begrüßen möchte ich die Berliner Malerin Kristina Girke, deren aktuelle Arbeiten wir nun für mehrere Wochen zeigen dürfen. Sie ist gebürtig aus Halle an der Saale, studierte in Berlin Malerei und war dort zuletzt Meisterschülerin von Katharina Grosse.
Schon während des Studiums hat sich ihre Biografie eindrucksvoll entwickelt. Ihre Einzel- und Gruppenausstellungen führen sie bis heute nicht nur ins europäische In- und Ausland, sondern auch nach Nord- und Südamerika, nach Asien und heute schließlich auch nach Trier.



Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen eigentlich sehr große Formate. Mit "sehr groß" meine ich Arbeiten, deren Breite nicht selten bis zu 2,70 m beträgt. Diese Werke sind autonome Bilduniversen, in denen alles, was für Kristina Girke typisch ist, zusammenkommt. Gerne hätten wir zwei oder drei dieser gigantischen Malereien präsentiert, das war aber aus praktischen Gründen leider nicht möglich.
Denn ihre Bilder müssen so, wie sie sind, transportiert werden. Die Leinwände können nicht vom Keilrahmen abgenommen und dann gerollt transportiert werden. Aufgrund der speziellen Malweise würden die Bilder dadurch zerstört, ich werde später noch näher darauf eingehen. Ein Transport der großen Formate war aber leider nicht finanzierbar, und so muss ich Sie auf die sehr schönen Kataloge verweisen, die hier ausliegen und die auch erworben werden können.

Ohne die Großformate ist die Ausstellung jetzt anders als ursprünglich geplant, aber hoffentlich nicht weniger interessant. Vielleicht verlangt sie dem Publikum so etwas mehr Einsatz an Phantasie ab.
Immerhin können wir zwei mittelgroße Arbeiten zeigen und zudem eine Vielzahl von Kabinettstücken, die detailhaft Schlaglichter werfen auf die malerische Welt von Kristina Girke.
Sie sehen hier rechts von mir einen Bild-Cluster. Versuchen Sie sich bitte vorzustellen, dass es sich um Bildelemente handeln könnte, die sich vor ihrer Vereinigung zu einem größeren Bildzusammenhang befinden. Natürlich sind das in Wirklichkeit abgeschlossene Werke, die sich aber durchaus miteinander in Beziehung setzen lassen und die Basis zu einer großen Komposition bilden könnten.



Es gibt zwei Aspekte in Kristina Girkes Malerei, die mich besonders angesprochen haben und die ich typisch für ihr Werk finde - einerseits ihre Schichtenmalerei, andererseits ihre häufige Verwendung von Ornamenten bzw. Mustern.

Vordergründig denkt man beim Begriff "Schichtenmalerei" zunächst an einen rein technischen Vorgang. So ist z.B. der altmeisterliche Auftrag lasierender Schichten ein Kunstgriff gewesen, um die Illusion räumlicher Tiefe im Bild zu erzeugen. Bei Kristina Girke haben die Bildschichten aber einen völlig anderen Charakter. Sie sind meist opak, und sie haben vor allem eine ganz andere Funktion im Bildaufbau.
Schon der Entstehungsprozess ihrer Bilder ist weniger "altmeisterlich", als vielmehr von sinnlicher Leidenschaft geprägt. Ich zitiere die Künstlerin selbst:
"Durch Schichtung von Farbe und partielle Übermalung liegen im fertigen Bild bis zu 20 Malschichten übereinander. Dabei werden verschiedene Malmittel verwendet. Acrylfarben, Ölfarben sowie industrielle Lacke sind so auf eine spezielle Art geschichtet. In diesem Prozess wird die Leinwand zwischenzeitlich abgespannt, um in diesem Zustand aufwändig mechanisch bearbeitet zu werden: zertreten, gerubbelt usw. Danach wird sie wieder aufgespannt. Weiter mit heißem Wasser übergossen und mit Spachtel traktiert, werden noch lose Farbsplitter abgetragen. In einem letzten Schritt wird eine Kunststoffdispersion aufgetragen, um alles von der Oberfläche her zu fixieren, in etwa vorstellbar: wie eingegossen.
Würde die Leinwand nun für den Transport wieder abgenommen und aufgerollt, so würde die gesamte Oberfläche aufbrechen und die Arbeit wäre zerstört."

Falls Sie mir eine musikalische Analogie gestatten: Der Einsatz von lasierenden Schichten im altmeisterlichen Ölbild klingt für mich homophon, während Kristina Girke polytonal komponiert. Ihre vielen Bildschichten sind scheinbar unabhängig voneinander aufgetragen, sie überlappen und überlagern sich gegenseitig, treten mal in den Vordergrund, um an anderer Stelle im Hintergrund zu verschwinden. So entsteht ein häufig sehr komplexes Gefüge aus Schichten und Ebenen, wie wir es interessanterweise aus der Geologie kennen. Wo es zu Brüchen in der Erdkruste kommt, geraten Ablagerungsschichten aus unterschiedlichen Erdzeitaltern gehörig durcheinander, zeitliche Abfolgen verwirren sich. Auch diese Analogie drängt sich nicht ganz zufällig auf. Nach meinem Eindruck interessiert sich Kristina Girke sehr für Zeit und Vergänglichkeit, für Ordnungsgefüge und ihre Zerbrechlichkeit. Dafür sprechen nicht zuletzt mehrere Bildtitel in dieser Ausstellung!
Und dafür spricht auch ein wichtiger Aspekt aus Girkes Biographie. Ihr Vater war in der ehemaligen DDR sehr stark in der Denkmalpflege- und forschung engagiert. So hat sie schon in ihrer Kindheit viel Zeit in Kirchen und anderen alten Gemäuern verbracht, während ihr Vater Aufmaße genommen hat. Ich vermute, sie hat sich auf diese Weise an die gleichzeitige Präsenz unterschiedlicher Epochen und vielleicht auch Denk- und Lebensweisen gewöhnt - für ein Kind ein zweifellos ungewöhnliches Konzept simultaner Wirklichkeiten.

Ich möchte an dieser Stelle einfließen lassen, dass ihre Eltern zum christlich orientierten Widerstand in der ehemaligen DDR gehörten, und sie litt unter vielfältigen Benachteiligungen, wie alle anderen, die sich nicht gleichschalten lassen wollten (Kunst konnte sie auch erst nach der Wende studieren).
Es liegt nahe, dass die vielen Bildschichten in Girkes Bildern, die sich meist so scheinbar sinnlos vermischen, ein Konzept von Vielfalt repräsentieren, die sich in freier und ungezwungener Wechselwirkung entfalten soll, im Gegensatz zu den staatlich verordneten eindimensionalen Sichtweisen, unter denen sie aufwachsen musste.

Girke hat die Aufhebung logischer Zusammenhänge in ihren Bildern zu einer Konsequenz entwickelt, wie wir sie am ehesten aus der Welt der Träume kennen. Aufgrund dieser Traumhaftigkeit versuche ich erst gar nicht, einzelne ihrer Bilder "erklären" zu wollen. Dem entspricht auch, wie die Künstlerin ihre Bildtitel wählt. Diese haben nämlich, nach ihren eigenen Worten, keinerlei erläuternde Funktion, sondern entstehen in freier Assoziation. Zusätzlich zu den sichtbaren, gemalten Schichten bilden die Titel eine weitere gedankliche Ebene, und sie können somit durchaus als eine zusätzliche, virtuelle Bildschicht betrachtet werden.
Ich habe überlegt, ob Girkes Kompositionsweise sich als eine Art von Collage-Technik begreifen lässt. Allerdings werden bei Collagen eher Komponenten miteinander verbunden, die ganz offensichtlich nicht zusammengehören, und es geht nicht zuletzt gerade um den Kontrast der einzelnen Komponenten.
Dafür interessiert sich aber Kristina Girke, wie ich glaube, überhaupt nicht. Alle ihre Bildkomponenten sind integriert und bestehen einheitlich aus Farbe. Auch an Stellen, wo man glaubt, sie hätte da etwas aufgeklebt, trifft dies nicht zu. Zum Beispiel bei dem Bild "Lust-Gewinn" dort hinten zwischen den beiden Fenstern. Das gerasterte Bild ist nicht etwa aufgeklebt, sondern auf raffinierte Weise manuell aufgedruckt.
Girke verwebt ihre unterschiedlichen Realitätsebenen auf organische Weise miteinander, erschafft somit Gleichzeitigkeiten in Raum und Zeit. Das hat nichts mt dem Prinzip der Collage zu tun, und ich glaube eher, dass Ihre künstlerische Denkweise auf den Möglichkeiten fußt, die von Graphik und Fotografie bereitgestellt worden sind.



Als zweite Auffälligkeit neben dem Schichtcharakter ihrer Malerei habe ich eingangs die häufige Verwendung von Mustern bzw. Ornamenten genannt.
Von der Wortwurzel her sind Ornamente zunächst nichts anderes als Verzierungen. Es gibt Ornamente aus allen Epochen der Menschheit und auf allen besiedelten Erdteilen. Da jede Kultur dabei ihre eigene, typische Formensprache entwickelt hat, können ihre Ornamente auch als Symbole verwendet werden, und sie können z.B. zitiert werden.
Kristina Girke hat eine ausgesproche Vorliebe für Zitate aller Art in ihren Bildern, und die Ornamente könnten zum Teil ähnlich assoziativ gemeint sein wie ihre häufigen Zitate aus der Kunstgeschichte.

Andererseits können Muster grundsätzlich nicht nur schmücken, sondern auch eine ordnende Funktion haben. Vor allem auf großformatigen Bildern Girkes entwickeln die Ornamente geradezu ein Eigenleben und gehören zu den wichtigsten Bildschichten. Von den Arbeiten, die wir in dieser Austellung sehen, vermittelt am ehesten "Der Teufelsritt" einen Eindruck davon, obwohl dieses Bild in seiner klaren Szenenhaftigkeit auch wieder untypisch für sie ist. Es hängt an der linken Wand im hinteren Raum und zeigt sozusagen einen Ritt durch Raum und Zeit - eine Deutung, die sich aufdrängt, da das Mustergewebe auf diesem Bild sofort an modellhafte Darstellungen gekrümmter Raumzeit denken lässt.
Letztlich ordnen Girkes Ornamente immer wieder den Raum oder vielleicht gar die Raumzeit in ihren Bildern. Vielmehr versuchen Sie es, denn die turbulente Malweise lässt am Ende jedes Ordnungsbemühen scheitern.
Kristina Girkes Bilder konfrontieren uns mit der Vergeblichkeit unseres Wunsches nach einer verständlichen Ordnung unserer Welt und lassen uns so ein wenig ratlos zurück. Zugleich geben sie uns Anlass zu der Hoffnung, dass selbst sehr starre Regelwerke den Keim des Zerbrechens stets schon in sich tragen könnten.


Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Markus Bydolek
 
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Letzte Aktualisierung: 27.02.2016 10:04:44 © 2016 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.