Claus Stolz
Heliografien
 
 
Einführungstext

zur Vernissage am 12.9.2014
 
Claus Stolz. Sun 180A

Claus Stolz. Sun 180A

 
Mit Claus Stolz zeigen wir in den nächsten Wochen einen Künstler, der im Grenzbereich der Fotografie unterwegs ist. Seine Kunst hat nur noch ansatzweise mit dem zu tun, was wir gemeinhin unter Fotografie verstehen.
Gestatten Sie mir einige Gedanken dazu, was er scheinbar macht, was er keineswegs macht und was er stattdessen in Wirklichkeit macht. Dazu gehört dann noch, wie er es macht und warum er es vielleicht so und nicht anders macht.

Aus der Entfernung betrachtet, machen die Bilder von Claus Stolz sofort neugierig. Meist sehen wir eine zentrale Kreisform mit detailreicher Binnenzeichnung, eingebettet in ein nicht näher definiertes Umfeld. Mitunter wirken diese Kreisformen so plastisch wie Kugeln und scheinen zu leuchten. Wenn wir auch noch die Bildtitel sehen, "Sonne Nr. soundso", dann fällt es uns leicht, darin Sonnen zu erkennen, vielleicht auch unheimliche Neutronensterne, Pulsare oder Himmelskörper wie das grüne Objekt, dem Anschein nach ein berstender Planet vor nachtblauem Himmel.
Aus Filmen wissen wir schließlich, wie man sich solche Objekte vorzustellen hat. Zumindest glauben wir es zu wissen! Und nicht zuletzt heißt die Ausstellung selbst "Heliografie", was soviel bedeutet wie "mit der Sonne gezeichnete Bilder".

Treten wir näher heran, werden die Bilder zunehmend rätselhaft. Statt heiß waberndem Plasma von der Oberfläche eines Sterns erkennen wir harte Konturen und feinste Liniengeflechte. Die Binnenstrukturen der Bilder scheinen zudem ein Eigenleben zu führen, sie lösen sich vollständig von den Hauptformen, die nun in den Hintergrund treten und uns ratlos zurücklassen.
Auf einigen Bildern wirkt die Binnenzeichnung sogar wie ein sinnloses Nebeneinander von grafischen Einzelelementen, Mustern und Ornamenten. Ich denke dabei besonders an die Projektion im Nebenraum.

Offensichtlich sehen wir hier gar keine Fotografien von Himmelskörpern. Überhaupt scheint es sich nicht um Fotografien zu handeln, denn eine Fotografie sieht bei starker Vergrößerung anders aus: Sie würde sich in Farbstoffwolken oder Bildrauschen auflösen statt so ungemein scharf und bizarr gezeichnet zu sein. Die Bilder wirken wie Zeichnungen oder feingestaltete Grafiken, die abfotografiert worden sind.

Worum handelt es sich also in Wirklichkeit? Versuchen wir uns von der anderen Seite anzunähern. Wie macht Claus Stolz seine Arbeiten? Im Prinzip ist ganz einfach, was er macht: Er baut seine Kamera oder Aufnahmevorrichtung im Garten auf und richtet sie in den Himmel. Er tut dies vorzugsweise, wenn die Sonne scheint, und er nimmt die Sonne sogar direkt ins Visier.
Jeder Fotograf weiß, dass da selbst die kürzesten Belichtungszeiten viel zu lang sein werden, der Film wird hoffnungslos überbelichtet sein.

Während in der Fotografie die Lichtmenge, die auf den Film fällt, sehr behutsam dosiert werden muss, um brauchbare Bilder zu bekommen, tut Claus Stolz das Gegenteil. Er benutzt seine Linsen, um das Licht der Sonne wie durch ein Brennglas zu bündeln und auf seine Filme zu lenken. Er peinigt seine Filme geradezu mit purer Hitzestrahlung. Er ignoriert dabei die lichtempfindliche Emulsion, die den Film beschichtet. Diese zarte Schicht ist es, aus der Fotografen ein Bild zaubern. Doch bei Claus Stolz wird diese Schicht so stark überbelichtet, dass sie niemals mehr ein Negativ oder ein Diapositiv hervorbringen wird. Sie ist für ihn nicht mehr als eine von mehreren Materialschichten, durch die er sich hindurcharbeitet.
Claus Stolz benutzt die heißen Strahlen zugleich als Zeichenstift und als Fräse. Teilweise fressen sie sich in das Filmmaterial, bringen es manchmal zum Qualmen und brennen Löcher hinein. Mitunter entstehen große Blasen, nur um dann manchmal wieder zu platzen. Die Abbildung auf der Einladungskarte und auf dem Plakat zeigt genau diesen Vorgang.
Fast immer verformen sich die ursprünglich planen Filme, wenn auch selten so extrem wie die geradezu dreidimensionalen Objekte, die hinter mir im Fenster hängen.

Wir sehen also, dass die feinen Linien und Konturen auf den Bildern letztlich nichts anderes als Brüche und Risse im Material sind. Ebenso wie die Muster, die in schier unbegrenzter Variationsvielfalt entstehen können, hängen sie von unterschiedlichen Parametern ab. Außer der Dosierung des Lichts und den auftretenden Temperaturen spielt vor allem die Filmsorte eine wichtige Rolle. Claus Stolz hat schon mit unzähligen Filmtypen gearbeitet, und sie alle zeigen sehr charakteristische Unterschiede.

An diese Stelle gehört nun auch die Auflösung des kleinen Rätsels, warum es eigentlich immer eine kreisrunde Hauptform auf diesen Bildern gibt (zumindest ein ganz zarter runder Lichtschein ist übrigens auf all seinen Bildern zu sehen). Der Grund dafür liegt einzig in der runden Linsenform. Würde Claus Stolz eine viereckige Blende einfügen, wäre auch die Hauptform auf seinen Bildern viereckig.
Allerdings käme dann niemand mehr auf die Idee, darin eine Sonne zu sehen!

Hier liegt also ein entscheidender Unterschied zur abbildenden Fotografie. Die Formen auf den Bildern von Claus Stolz liefern uns keine Informationen über die Objekte, auf die die Kamera gerichtet ist. Sie informieren uns vielmehr über die Form der Linse und über die Eigenschaften des verwendeten Filmmaterials.
Und sie informieren uns über die Dauer der "Belichtungszeiten". Nur wenn diese relativ kurz sind, entsteht eine so perfekte Kreisform. Bei längerer Belichtungszeit wandert der Lichtfleck über die Filmoberfläche, und es entsteht eine Ellipse. Bei sehr langer Belichtung von vielleicht 60 Minuten zieht sich ein Streifen über das Negativ. Und wenn der Streifen an manchen Stellen schwächer wird oder ganz verschwindet, dann lässt sich daraus folgern, dass es zwischendurch bewölkt gewesen ist!

Man kann also durchaus vom Zeichnen mit Licht sprechen, und nichts anderes bedeutet Fotografie ja im wörtlichen Sinne. Vermutlich hätten daher die meisten Menschen auch keinerlei Problem damit, Claus Stolz als Fotografen zu betrachten.
Bekanntlich zeigt die Fotografie heute unendlich viele Gesichter, und fast alles scheint möglich zu sein. Wir können nicht nur fotografieren, was wir mit unseren Augen sehen, wir können auch infrarot oder ultraviolett fotografieren, wir können in die Tiefen des Weltalls hineinfotografieren oder ins Innerste der Materie. Wir können Fotografien anfertigen, die unserem natürlichen Sehen sehr nahekommen, aber wir können sie auch so stark verfremden oder abstrahieren, dass kaum noch etwas zu erkennen ist.
All dieser Vielfalt liegt aber immer ein einziges Prinzip zugrunde. Immer steht das fotografische Bild nämlich in einem kausalen Zusammenhang zu einem real und objektiv existierenden materiellen Motiv, das abgebildet wird. Dabei spielt es keinerlei Rolle, ob das Bildmotiv am Ende noch erkennbar ist.
Fotografieren bedeutet IMMER Abbilden. Wer fotografiert, der thematisiert und interpretiert grundsätzlich irgendeine äußere Realität und stellt diesen funktionalen Zusammenhang auch nicht in Frage - er gilt als selbstverständlich.

Für Claus Stolz indes gilt das alles nicht. Er benutzt anderes Licht, als es alle anderen Fotografen tun. Das Licht, das sie in ihre Kamera lenken, ist von einem Gegenstand reflektiert worden und transportiert nun Informationen über Gestalt und Farbe dieses Gegenstandes. Claus Stolz verwendet dagegen ein tendenziell "reines" Licht, das direkt von der Sonne kommt. Zwar wurde es auf seinem Weg zur Erdoberfläche hier und da gestreut, doch diese Informationen sind unspezifisch und diffus, es handelt sich gleichsam um leere Aussagen, die nicht verwertbar sind. Die einzige relevante Information besteht darin, dass es dort, wo die Lichtstrahlen herkommen, sehr heiß ist. Ansonsten ist dieses Licht frei von Information, und Claus Stolz nutzt auch lediglich die zerstörerische Kraft seiner Energie.
Vielleicht werden wir Claus Stolz am ehesten gerecht, wenn wir seine Arbeit als "Konkrete Fotografie" bezeichnen, in Analogie zur Konkreten Malerei, die sich ebenfalls nicht auf sichtbare Realität bezieht.

Ich betrachte es als sehr radikalen Schritt, ausgerechnet als Fotograf den funktionalen Zusammenhang von Bild und Abbild hinter sich zu lassen, als einen Schritt, der wohl nicht von seiner persönlichen Lebensgeschichte zu trennen ist.
Schon als Kind hat Claus Stolz begonnen zu fotografieren, er ist mit Kameras und Dunkelkammertechnik aufgewachsen. Damals, in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, gab es zwar auch Spielzeugkameras aus Plastik. Ernsthafte Kameras waren aber wertvoll, und entsprechend sorgfältig wurde eine Kamera gehegt und gepflegt. Auch waren theoretisches Verständnis und viel Übung erforderlich, um mit diesen völlig manuellen Kameras überhaupt brauchbare Fotos machen zu können. Die bloße Möglichkeit zu fotografieren war damals Privileg, Luxus, Handwerk, Kunst und Lebensgefühl zugleich, und die Kamera war ein wahrhaftiger Fetisch.
Es wäre zu jener Zeit kaum denkbar gewesen, eine Kamera mutwillig zu zerstören, indem man Filme darin grillt!Doch seitdem ist viel geschehen. Der technologische Fortschritt hat das Fotografieren über die Jahrzehnte in eine banale und fast kostenlose Alltagstätigkeit verwandelt. Zumindest in technologischer Hinsicht ist die Fotografie schon immer ein ruheloses Medium, das seine Nutzer auf Trab hält, das ewige Gewissheiten nicht duldet und mühsam erlerntes Handwerk immer wieder in kürzester Zeit in kalten Kaffee verwandelt. All jene, für die Fotografie ein wichtiger Lebensinhalt war, mussten für sich Antworten auf diesen Bedeutungswandel finden, und es gab vielfältige Antworten: Strömungen und Schulen aller Art entstanden, die einen blieben bewusst bei klassischen Techniken, die anderen wandten sich der digitalen Fotografie zu - doch allen ist bis heute gemeinsam, dass sie mit ihrer Fotografie Abbildungen schaffen.

Die Antwort von Claus Stolz aber fiel anders aus: Er hat den Pfad der abbildenden Fotografie verlassen. Nicht nur das: Er hat in die Fotografie, die zu den Sinnbildern einer immer perfekter funktionierenden Technologie gehört, Momente der Verweigerung eingeführt, vielleicht auch der Rebellion.
Wenn ich an die Aktionen von Claus Stolz denke, dann muss ich auch an Konzerte mit zerschlagenen Klavieren oder E-Gitarren denken. Da geht es ja einerseits um einzigartige, nicht exakt wiederholbare Klanggewitter, es geht aber letztlich auch darum, am engen Zusammenhang von Zerstörung und Neugeburt, Leben und Tod künstlerisch zu arbeiten. Claus Stolz arbeitet vergleichbar mit zerstörerischen Kräften, und es gelingt ihm, die Zerstörung in ästhetischen Lösungen aufzuheben.

Übrigens hat Claus Stolz seine künstlerische Position kontinuierlich und fast behutsam entwickelt. Am Anfang stand die Begegnung mit dem berühmten Bild "Black Sun" des amerikanischen Kultfotografen Anselm Adams. Auf diesem historischen S/W-Bild ist die Sonne schwarz, und zwar aufgrund eines Effektes, der Solarisation genannt wird und meines Wissens mit modernen Filmemulsionen nicht mehr erzielt werden kann. Dieser Effekt bewirkte, dass sich die Tonwerte des Films an der extrem überbelichteten Stelle mit der Sonne umkehrten.
Seitdem interessierte Claus Stolz sich dafür, was passiert, wenn Filme nicht "sachgemäß" behandelt, sondern mit extrem viel Licht malträtiert werden. Im Jahre 1995 setzte er erstmals einen Film dem direkten Sonnenfeuer aus.
Er begann mit Kleinbildkameras, die schnell zerstört waren und dauernd ersetzt werden mussten. Dann wechselte er zum Mittelformat und erhielt Bilder, die sich auch projizieren lassen, wie wir im Nebenraum sehen.

Da aber eigentlich alle Funktionen einer Kamera unnütz sind für ihn, arbeitet er heute fast nur noch mit einem selbstgebauten Apparat, der nur all das hat, was er wirklich braucht. Das ist erstens eine Vorrichtung, um große Planfilme festzuhalten. Und zweitens eine Linse samt Vorrichtung, um sie auf den Film auszurichten.
Aktuell verwendet Claus Stolz eine Linse von einem Meter Durchmesser.

Markus Bydolek
 
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Letzte Aktualisierung: 13.09.2014 00:01:41 © 2015 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.