Mane Hellenthal

Schattenrasen
Malerei und Installation
 
Grußworte zur Eröffnung am 14. Juni 2013

Wir nehmen tagtäglich eine Flut an Bildern und Eindrücken wahr. Die große Masse und die hohe Frequenz mit der diese auf uns eindringen, erschweren es uns jedoch, sie alle vollständig zu verarbeiten, weshalb viele schemenhaft bleiben und wie flüchtige Schatten an uns vorbeirasen. Als schattenhafte, vage Erinnerungen verweilen sie teilweise in unserem Unterbewusstsein, bleiben dunkel und undeutlich, können jedoch auch wieder zu Tage treten.

Die Silhouetten der Installation Schattenrasen erinnern an das Schattenspiel, bei dem Formen an die Wand projiziert werden, die den Betrachter dazu anregen, in ihnen etwas zu erkennen. Die vagen Umrisse nehmen durch das Vorstellungsvermögen des Betrachters Gestalt an. Schon wenige Anhaltspunkte genügen, um einen Vorgang auszulösen, bei dem das Gesehene mit eigenen Gedanken inhaltlich angereichert wird. Ein Prozess, dem man sich nicht entziehen kann.
Das Resultat wird wahrscheinlich bei jedem Einzelnen unterschiedlich ausfallen, denn wenngleich im Falle der beiden äußeren Figuren andeutungsweise menschliche Physiognomien erkannt werden könnten, erscheinen die beiden sie begleitenden Figuren wie Mischwesen, die etwa an einen Zentauren und eine sphingenhafte Figur oder einen grotesken Wasserspeier von Notre Dame de Paris erinnern. Auch die Situationen, in denen sie sich befinden, bleiben unklar. Es obliegt dem Betrachter, sie inhaltlich aufzuladen.
Die figurativen Umrisse dienen in ihrer Unbestimmbarkeit als Folie, die von kleinen Gemälden überdeckt wird, den sogenannten Kreisbildern. Der Kreis fungiert in diesen Malereien als Fokus für Porträts, die Verwandte und Bekannte der Künstlerin oder sie selbst darstellen. Aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst, finden sie sich auf die kleinformatigen Leinwände gebannt.
Überdeckt werden sie von einer buntfarbigen, marmorierten Struktur, die verfremdend wirkt und vielleicht als sinnbildhafter Verweis dafür gesehen werden kann, dass auch Erinnerungen häufig verfremdet werden, denn je mehr Zeit zwischen dem Ereignis und dem Hier und Jetzt liegt, desto mehr ist man unbewusst dazu geneigt, die Erinnerung zu verformen. Manche Aspekte verschwinden aus der Erinnerung, manche können gar umgedeutet werden.

Erinnerungen sind nicht nur an Fotos und Abbildungen geknüpft, die der Künstlerin häufig als Vorlage ihrer malerischen Arbeiten dienen, sondern auch an Materialien, vornehmlich an Stoffe von Kleidungstücken. Die Installation nahe dem Eingangsbereich macht dies zu ihrer inhaltlichen Grundlage. Mane Hellenthal hat für die turmartige Installation Bausteine aus Stoffen verwendet, die sie selbst oder ihr nahe stehende Personen getragen haben. Auch Stoffe von Tischdecken wurden in die Installation aufgenommen, sie stehen in Zusammenhang mit einer heimischen und daher vertrauten Situation.

Tischdecken fungieren darüber hinaus auch als Untergrund für die sogenannten Katastrophenbilder, von denen wir eines im hinteren Raum der Galerie sehen. Dargestellt ist ein Gefängnis, welches mit seinen rasterhaften, x-förmigen Gebäudekomplexen wehrhaft und bedrohlich wirkt. Dass solche dunklen Orte ihre Schatten bis in unsere private Welt werfen und uns alle etwas angehen, wird nicht zuletzt durch die Tischdecke, Sinnbild des Heimes, offenkundig.

Ebenso nüchtern und bedrohlich wirkt die im Volksmund Rote Brücke genannte Großherzogin-Charlotte-Brücke, die das Tal der Alzette überspannt und das Europaviertel auf dem Kirchberg-Plateau mit dem Stadtzentrum Luxemburgs verbindet. Die dekorationslose, rein funktionale Architektur der Brücke, die hier ausschnitthaft zu sehen ist, wird durch die schwindelerregende Perspektive noch schematischer. In der Serie der provinziellen Bauwerke wurden Bauwerke aus ihrem Ortskontext herausgelöst und als formal reduzierte Ausschnitte in einen surrealen Bildraum collageartig eingefügt. Dieser neue Bildraum enthält nur noch wenige Anhaltspunkte über die ursprüngliche Umgebung, zudem wirkt der marmorierte, bewegte Untergrund, auf den sie platziert wurden, unbestimmbar. Die derart stilisierten Gebäude erscheinen dadurch als irreale Objekte und sind im Grunde ebenfalls schemenhaft.

Die in einem offenen, assoziativen Zusammenhang zueinander stehenden Arbeiten haben eines gemeinsam: Gesehenes und Erlebtes wird verfremdet, wodurch ein Spielraum für Assoziationen geschaffen wird. Sehen Sie in dem eingangs erwähnten Schattenspiel einen Hinweis auf die Lesart, mit denen man den Arbeiten von Mane Hellenthal begegnen kann, nämlich sich durch dieses Sammelsurium an Motiven und Themen, welches die Künstlerin selbst als "verspielt chaotische Ordnung" bezeichnet, zu Gedankenspielen anregen zu lassen.
Ich wünsche Ihnen viel Freude und spannende Beobachtungen.
 
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Letzte Aktualisierung: 01.07.2013 12:49:45 © 2015 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.