Eva Vettel

"zwei"
Poetische Fotografie
 
 
Betrachtung

Einführungsrede zur Eröffnung am 1. Juni 2012
 
Eva Vettel, zwei no.7 (Ausschnitt), 2010, Pigment-Print, 100x100cm
Eva Vettel, zwei no.7 (Ausschnitt), 2010, Pigment-Print, 100x100cm

 

Seit 1997 geht Eva Vettel ungewöhnliche Wege in der Fotografie.

In ihren Arbeiten tritt Gegenständliches durch Verwischung, grobes Korn und lichte Transparenz zurück. Seit 2004 arbeitet sie parallel mit halbtransparenten Fotoinstallationen in Innen- und Außenräumen.

Ihre hellen, poetischen Bilder sind das Ergebnis eines wechselnden Arbeitsprozesses zwischen Fotografie und Fotoinstallation. Aus halbtransparenter Fotografie mit Naturmotiven mitten im Raum entsteht in einem weiteren Prozess durch die Verschmelzung des transparenten Bildes mit dem Hintergrund des realen Zeit-Raumes neue Fotografie.


So lautet die technische Beschreibung dessen, was Eva Vettel als künstlerische Arbeit vollbringt.

Was aber fasziniert und berührt mich an diesen Bildern?


Als ich gefragt wurde ob ich die Arbeiten von Eva Vettel besprechen könnte habe ich mir auf ihrer homepage die betreffenden Bilder angesehen. Mein erster Eindruck der Arbeiten war sehr positiv. Ich fand sie ästhetisch, luzide, verschleiert, poetisch. Begriffe, die sich auch auf der Einladungskarte oder im beschreibenden Text zu der Ausstellung finden. Und die, wie ich meine, auch nach wie vor treffend sind.
Ich sah, dass hinter Strukturen von Erde, Wasser, Gräsern und Blüten Menschen und Tiere agieren, wie durch einen Schleier im Raum. Dass sie sich in den hellen Bildern in irgendeiner Beziehung, möglicherweise im Dialog gegenüber stehen. Und dass die Bilder formal durch einen senkrecht durch das Bild laufenden Spalt, der eine weitere Ebene dahinter erahnen lässt, zweigeteilt sind.


Bei der ersten echten Begegnung, der ersten Betrachtung allerdings, veränderte sich mein Zugang zu den einzelnen Bildern und der Gesamtkomposition der Ausstellung.

Zuerst war ich fasziniert von der bildimmanenten Materialität und Kraft der Fotoarbeiten. Von Situationen, in denen die Bildebenen miteinander verschmelzen, zu einem Einen, welches das Andere materiell in sich aufgenommen hat. Das dadurch wiederum tiefer wird, vielschichtiger, ja dichter. Ich war wie magisch angezogen. Von dieser Verdichtung und Tiefe. Der Begriff des Malerischen schlich sich in meine Gedanken. Immer wieder habe ich mir diese Situationen angesehen, um zu ergründen, was ich da sehe. Wo ich es sehe. Direkt auf der Oberfläche? Oder irgendwo dahinter in einem Raum. Allerdings nicht in dem Raum, der sich tatsächlich im Bild eröffnet, sondern in dem Raum, der durch die Aufnahme durch den installierten, zweigeteilten Vorhang, dessen Teile nicht die gleiche sondern ganz bewusst unterschiedliche Projektion verursachen, bis hin zu den agierenden Figuren entsteht. Ein Zwischenraum. Ein zeitliches und räumliches Dazwischen. In dem, kaum zu fassen, eine Anhäufung, Verdichtung und Materialisierung stattfindet. Parallelwelten entstehen. Davor, dazwischen und dahinter. Entrückt aus der Echtzeit. Eine Gleichzeitigkeit der Räume, der Ereignisse und der Materialitäten.

Da erwächst aus einer pflanzlichen Struktur auf der Installation im Vordergrund in der Fotografie in der Ebene dahinter eine weibliche Figur. Wird eins, trägt die Spuren der floralen Strukturen, wird gar selbst fast zur floralen Struktur. Verschmilzt. Ist beides gleichzeitig.
An anderer Stelle materialisiert sich ein Körperteil durch die Verschmelzung der Ebenen zu einer vielschichtigen Stofflichkeit, einem gewachsenen, organischen Gebilde gleich, das die angelegte zeitliche und räumliche Ausdehnung des Zwischenraums scheinbar ganz und gar einnimmt und ausfüllt. Es wirkt dicker, dichter, materieller und erscheint in der Gleichzeitigkeit von Wirklichkeit und Projektion. Es ist wie es ist. Aber auch wieder nicht. Im selben Moment. Die Zeit scheint ausgesetzt. Eingefroren. Gleichzeitig.

Aber wo ereignet sich diese Gleichzeitigkeit der Materialitäten und Wirklichkeiten?
Wo zeigt sich das Unfassbare? Wo vollzieht sich die Verschmelzung?
Vor dem Vorhang, hinter dem Vorhang oder dazwischen?
So wie ich es sehe, findet sie in diesem entrückten Raum dazwischen statt, in dem zeitlichen Kokon, im Vakuum der Zeit, im Extrakt des Seins, im geschützten Raum der Projektionen. In dem Raum, den Eva Vettel in ihren Fotografien konstruiert hat. Als Idealfall der Überschneidungen. Dort erwächst etwas aus etwas anderem. Geht im anderen auf und verändert sich. Ist und ist etwas anderes.

Natürlich, die Fragen "Was ist der Raum?" und "Was ist die Zeit?" liegen den künstlerischen Untersuchungen von Eva Vettels Arbeiten zugrunde. Sie überprüft ähnlich einem Wissenschaftler mittels einer künstlerischen Methode deren Zusammenhänge. Als Erkenntnisprozess. Dies nicht nur auf der Mikroebene, mit sich addierenden Materialitäten im Zwischenraum, sondern auch auf der Makroebene im realen Raum der Installation selbst.

So verweilt sie in der Wirklichkeit des Arbeitens hinter dem zweigeteilten Vorhang und hat schon von Anfang eine Situation des Gleichzeitigen Außen und Innen geschaffen. Von dort - ob Außen oder Innen, kommt auf den Standpunkt an - beobachtet sie Personen in der Installation und fotografiert sie durch den Schleier. Lässt die Projektion zu. Wie eine Vorstellung von etwas. Wie aus einem entrückten Traum nimmt sie diesen Moment und stellt ihn frei. Hält ihn fest. Bereits in der nächsten Sequenz ist er ein anderer Moment, eine andere Konstellation. Oder war? Schon ist wieder alles Vergangenheit. Alles neu. Verrückt. Der Moment des Jetzt ist in der Fotografie festgehalten, die Situation an sich unterliegt dem Verfall. Dem ständigen Prozess der Veränderung. Und ist bereits vergangen. Im Davor, dazwischen und dahinter.

Alles scheint unwirklich entrückt in diesen Bildern. Wie im Nebel. Wie im Traum. Wie in einer anderen Welt. Doch es ist mehr als stille Harmonie in diesen Arbeiten.

Eva Vettel zeigt Grenzen auf. Der Titel der Ausstellung "zwei" weist bereits darauf hin.
Mag sich alles vereinen hinter Schleiern oder in verschmelzenden Materialitäten. Die Figurenkonstellationen vermitteln trotz der offensichtlichen Beziehung zueinander den Moment von Getrenntsein. Zwar befinden sie sich im gleichen Raum, erleben am unfassbaren Ort gemeinsam das Phänomen der Verschmelzung. Aber nicht miteinander. Sondern lediglich mit der Projektion. Denn es trennt sie etwas voneinander. Ein krasser Schnitt geht senkrecht durch die Arbeiten.

Die somnambule Entrücktheit, in der alles Agieren im Zwischenraum der Projektionen leicht scheint, zerbrechlich schön, unwirklich und luzide, in der Beziehungskonstellationen in eine Fassungslosigkeit entrücken, in Ahnungen, Erinnerungen und Träume zu entschwinden scheinen, erfährt ihre Grenze durch diesen Streifen der Wirklichkeit, der mächtig teilt in rechts und links. Der voneinander trennt. Oder der nicht zusammenkommen lässt - das kommt auf den Blickwinkel an.

Egal wie. An dieser Stelle entstehen zwei Teile, die sich gegenüberstehen. Die den Titel der Ausstellung "zwei" erklären.

Die scharf geschnittene Gegenwart, die Ebene hinter dem Dahinter, die dritte Ebene im Bild, das, was nur kurz aufleuchtet, reißt die scheinbare Harmonie der entrückten Situation auseinander und zurück auf den Boden der Tatsachen. Dorthin, wo nicht alles harmonisch, organisch wächst und eins das andere ganz leicht in sich aufnimmt um Neues entstehen zu lassen. Dorthin wo Gegensätze herrschen. Im Jetzt wohnt der Kontrast. Im Jetzt findet die Veränderung statt. Im Jetzt sind die Dinge letztlich getrennt. Bevor sie sich im Schleier der Erinnerung wieder vereinen lassen.
Melancholie drängt sich mir als Wort auf. Ein Schmerz schimmert in den leichten Arbeiten auf, den wohl alle kennen, die sich ernsthaft und tief mit dem Werden und Vergehen aller Beständigkeit des Lebens beschäftigen.

Was sagt Eva Vettel selbst zu Ihrer Arbeit?
"Fotografie ist der Schlüssel, meine Fragen über die Welt in Bildern zu sehen, zu fühlen, zu denken."

Exakt das - und dem habe ich an dieser Stelle nichts hinzuzufügen.


Christina Biundo

 
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Letzte Aktualisierung: 07.06.2012 11:40:55 © 2015 Kunstverein Trier Junge Kunst e.V.